BB001|DELAROCHE: Was sind Klassizismus und Romantik?

07.04.2021

SKRIPT

Dieses Gemälde findet sich in fast jedem Geschichtsbuch meistens in dem Kapitel über die französische Revolution. Es heißt „Die Freiheit führt das Volk“ und stammt aus dem Jahr 1831. Es wurde von dem französischen Maler Eugène Delacroix gemalt und im Salon des selben Jahres ausgestellt. Obwohl wir heute alle dieses Gemälde kennen, war es keineswegs der Star des Salons 1831. 

Ein ganz anderes Gemälde, das die meisten heute gar nicht mehr kennen, war der eigentliche Star dieses Salons. Es heißt „Cromwell am Sarg von Karl I.“ und stammt von dem französischen Maler Paul Delaroche. Warum war dieses Bild und dieser Maler zu jener Zeit so unglaublich populär, obwohl die meisten weder den Maler noch das Gemälde heute kennen? 

Das ist die Frage, welche ich in diesem Video beantworten möchte. Und damit herzlich willkommen zur ersten Folge BewegtBild. 

Diese Folge ist der erste Teil einer kleinen Serie über die Bilder des französischen Malers Paul Delaroche. In diesem Teil werden wir erklären welche historischen und politischen Entwicklungen vor sich gingen und welche Kunstströmungen aus diesen Entwicklungen hervorgingen, um die Frage zu beantworten, warum Delaroche zu jener Zeit so populär war im Salon de Paris.

Der Salon de Paris war der erste Ort, an welchem Kunst außerhalb irgend einer institutionellen Funktion einen öffentlichen Platz fand. Daher wäre es nicht abwegig den Salon als die Geburtsstätte der modernen Kunst und unseres heutigen Kunstbegriffes zu verstehen. Ursprünglich wurde er von Ludwig XIV. ins Leben gerufen 1667, um seine Herrschaft und den von ihm als richtig erachteten Geschmack zu propagieren. Nach der Französischen Revolution wurde der Salon jedoch zum Zentrum des französischen Kunstgeschehens und gleichzeitig des Umsturzes der zuvor anerkannten Kunstrichtung. Der Salon war der erste Ort an welchem nichtreligiöse und nichthöfische Kunst öffentlich ausgestellt wurde.

Ein Salon sticht bei diesem Wandel des Kunstgeschmackes besonders hervor: der Salon von 1831. Ein Zeitzeuge schreibt über diesen besonderen Salon das folgende: 

„Das Publikum verweilte zuerst, blieb für ganze Stunden still, erstaunt von den tiefen und melancholischen Gedanken, die dieses Bild in ihm auslöste.“ 

Von welchem Bild ist hier die Rede? Welches Bild begeisterte das Publikum so sehr? Bei diesem Zitat geht es um das strategisch am Eingang platzierte Bild “Cromwell am Sarg von Karl I.” von Paul Delaroche. Nicht nur dieses Bild machte den Salon zu einer Sensation, sondern auch andere bis heute berühmte Werke wie “Die Söhne Edwards” – ebenfalls von Delaroche – und “Die Freiheit führt das Volk” von Eugène Delacroix. Delaroche und Delacroix waren französische Maler, welche vornehmlich historische Bilder im Pariser Salon ausstellten. Delaroche war ein extrem erfolgreicher Maler und sogar der erste Maler seiner Epoche, der noch zu seinen Lebzeiten auch jenseits Europas bis nach Russland und Amerika bekannt und gefeiert war. Dieser Erfolg zeigt sich schon früh. Nur ein Jahr nach dem Salon von 1831 wurde er zum jüngsten Mitglied der Académie des Beaux-Arts. Heute und eigentlich direkt nach seinem Tod ist Delaroche allerdings in Vergessenheit geraten. Delacroix, der ebenso ein Historienmaler des Pariser Salons war, hingegen ist bis heute extrem Bekannt und überschattet mit seinem späteren Erfolg den einstigen Ruhm Delaroche’s. Delacroix wird häufig als unmittelbarer Vorläufer der modernen Avantgarde verstanden. Er wurde schnell zu einer Kultfigur der modernen Künstler, wie man auf diesem Gruppenportrait von Delacroix-Verehrern sehen deutlich kann, welches nur ein Jahr nach dem Tod des Künstlers 1864 entstanden ist. Im Zentrum steht das Porträt des verstorbenen Delacroix und direkt daneben können wir einen der wichtigsten Begründer des Impressionismus ausmachen: Eduard Manet.

Doch zu den Bildern von Delacroix war schwer durchkommen, denn das Publikum blieb gebannt vor dem Cromwell stehen. Warum konnte sich das Publikum für die Bilder von Delaroche zu diesem Zeitpunkt so sehr begeistern? Alle von mir genannten Gemälde, Cromwell, die Söhne Edwards und Die Freiheit führt das Volk sind Bilder eines historischen Wandels, eines gewissen Umschlagspunktes in der Geschichte und im Falle von den zwei Delaroche-Bildern ist es ein Umschlagspunktes in der englischen Geschichte. Die Söhne Edwards stellt die englischen Prinzen im Tower dar, kurz bevor die Handlanger des Usurpators Richard III. Kommen, um sie zu töten. Sein Cromwell steht über dem toten Feind, dem König und wird sich bewusst, dass er damit die absolutistische Monarchie abgeschafft hat. Warum waren gerade diese Themen so interessant für die Besucher des Salons? Die Antwort ist sicherlich darin zu finden, dass man sich in der Öffentlichkeit im allgemeinen eine Frage stellte, welche auch diese Bilder unter anderem verhandelten. Diese Frage lautet, “was ist die richtige Auffassung von Geschichte?”. Wie können wir als Individuen und Staat unsere Rolle im Wandel der Geschichte deuten und verstehen? Man stellte sich diese Frage aus dem simplen Grund, dass die Bevölkerung zu dieser Zeit Geschichte und ihren konkreten Wandel ganz unmittelbar am eigenen Leibe erlebt hatte. Ein Zeitzeuge beschreibt es folgendermaßen:

„Wir leben seit über dreißig Jahren in einer Welt, die von so vielen erstaunlichen und verschiedenen Ereignissen bewegt wird; vor unseren Augen waren die Menschen, die Gesetze, die Throne ständig in Bewegung.“ 

Dieses Zitat bezieht sich auf die Zeit unmittelbar vor und nach der Französischen Revolution, in welcher die Menschen nicht nur einen extremen historischen Wandel direkt erlebt hatten, sondern auch jedes religiöse oder ideologische Rahmenverständnis dieser Ereignisse ins Wanken geraten war. Diese Zeit war maßgeblich eine Zeit der Unsicherheit, denn die mögliche Entwicklung pendelte ständig zwischen Rekonstruktion und Republik. Die Entwicklung vor und nach der Revolution bis hin zur zweiten Republik ist natürlich komplex, doch ein schneller Abriss der Ereignisse, sollte deutlich machen, wie sehr dieses Pendel hin und her schwang. 

Die Revolution begann natürlich damit, dass bei der Versammlung der Generalstände es unmöglich war für den dritten Stand die Steuern zu reformieren in der bestehenden politischen Formation. Also gründeten die Repräsentanten des dritten Standes und auch manche Adlige und Geistliche eine neue Versammlung – die sogenannte Nationalversammlung. Diese Nationalversammlung erzwang mit der Unterstützung der erzürnten Bevölkerung 1791 eine neue Verfassung, welche nicht nur die Steuern reformierte und den adligen Privilegien entzog, sondern auch eine konstitutionelle Monarchie einsetzte. Ludwig der XVI. konnte sich an diese neue Staatsform nicht gewöhnen und wurde geköpft nachdem entdeckt wurde, dass er einen Putsch plante. Darauf folgte, die Schreckensherrschaft, in welcher jeder mögliche Feind der Revolution innerhalb und außerhalb Frankreichs vernichtet werden sollte, um die junge Republik zu schützen. 

Doch 1794 sah die Bevölkerung zunehmend den Terror als nicht mehr notwendig. Die politische Lage organisierte sich neu. Der Wohlfahrtsausschuss, welche als stärkste politische Institution die Terrormaßnahmen verabschiedet hatte, wurde durch das sogenannte Diktoriat ersetzt. Die Großgrundbesitzer und andere reiche Bürger ergriffen die Chance, um eine neue Verfassung einzusetzen, welche ihnen zu Gute kam. Nach einem Zeitraum relativ stabiler Regierung und diversen Verteidigungs- und Angriffskriegen gegen die Europäischen Monarchien, gewannen die Royalisten in Frankreich langsam wieder an Zuspruch. Napoleon, der als erfolgreicher Feldherr aus diesen Revolutionskriegen nach Paris zurückgekehrt war, ergriff hier die Chance, um zu Putschen, bevor die Royalisten es konnten. Napoleon machte sich nicht zum König Frankreichs im Sinne des Ancient Regime. Es war keine Rekonstruktion. Dennoch ernannte er sich zunächst zum ersten Konsul und dann 1804 zum Kaiser der Franzosen, womit er sich auf den Rückfall des römischen Reichs von der Herrschaft des Senats zurück zum Kaisertum bezog.

Um Frankreich herum hatten andere europäische Monarchien das Interesse das Ancient Regime wieder herzustellen. Der fehlgeschlagene Russlandfeldzug Napoleons gab England, Österreich und anderen die Möglichkeit Napoleon zu stürzen und wieder einen Bourbonen einzusetzen Ludwig XVIII., welcher sich zwar nicht der König Frankreichs nannte, jedoch dennoch der König der Franzosen war. Den Wunsch nach Rekonstruktion hielt er jedoch noch weitgehend aus Angst vor dem Zorn der Bevölkerung zurück. Erst mit dem erzkonservativen Karl X. offenbarte sich die Rekonstruktion wieder im Sinne der Wiederherstellung des Ancient Regime. Karl X. unterdrückte populäre Bewegungen und Interessen, in seinem Versuch die alten Verhältnisse wieder herzustellen. Seine Politik kam noch nicht einmal den reichen Bürgerlichen zugute, geschweige denn den Sansculotten, sondern war allein darauf ausgerichtet die Privilegien der Adligen wieder herzustellen. Prompt reagierte die Bevölkerung mit der sogenannten Julirevolution, welche nicht das Königtum per se abschaffen, aber den sogenannten Julimonarchen Louis-Phillip auf den Thron bringen sollte, welcher im Allgemeinen für eher bürgerliche Werte stand und daher auch als Bürgerkönig bezeichnet wird. Das Bild „Die Freiheit führt das Volk“ ist eine allegorische Darstellung dieser Julirevolution. 

In dieser Zeit befindet sich nun das Publikum des Salons mit einem eher liberalen konstitutionellen Monarchen nach einem ständigen Hin und Her zwischen Rekonstruktion und Republik. Diese Zeit hatte dafür gesorgt, dass man auch Louis-Phillip nicht als sicheren Hafen wahrnahm, sondern wie alle zuvor als fragiles Element im Strom der Geschichte. Die Zukunft war unsicher und die Vergangenheit bestärkte die Berechtigung dieses Unsicherheitsgefühl. 

Die Kunst im Salon regierte auf diese Unsicherheit über die historische Entwicklung. Heinrich Heine war zum Höhepunkt des Salons in Paris und berichtet detailliert über seine Erlebnisse. Über die Kunst dieser Zeit schrieb er das folgende: 

„Und obgleich die wichtigsten politischen und religiösen Revolutionen meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, so konnte ich doch nicht unterlassen, zuerst über die große Revolution zu schreiben, die hier im Reiche der Kunst stattgefunden.“

Eine Karikatur von 1827 beschreibt die Revolution in der Kunst, die Heine hier anspricht, sehr pointiert. Die Karikatur bezieht sich auf den Salon von 1827, welcher auch als Bataille Romantique bezeichnet wurde, da sich hier die klassizistischen und romantischen Historienmaler gegenüberstanden. Auch im Salon von 1831 standen sich diese zwei Kunstströmungen gegenüber. Denis Foyatier stellten seinen Spartacus und Jean Jacques Pradier seine drei Grazien aus, welche beides eindeutig klassizistische Skulpturen sind und nur einen Raum weiter konnte man Delacroix’s eindeutig romantische Bilder begutachten. Anhand der Karikatur können wir leicht erkennen wie die Kunst des Salons auf die Unsicherheit der Geschichte reagierte und wie sich die zwei Stile von Romantik und Klassizismus unterscheiden.

Wenn wir die Karikatur betrachten, können wir schnell erkennen, was diese zwei Strömungen auszeichnet. Die Karikatur stellt zwei Figuren im Kampf dar. Auf der linken Seite haben wir den Klassizismus verkörpert durch einen nackten Mann mit Speer in einer steifen Pose, welche an antike Skulpturen erinnert. Sein Gesicht trägt einen Ausdruck von Entschlossenheit, ebenso statisch wie die Pose blickt er stoisch in Richtung seines Gegners. Zu seinen Füßen liegt eine klassische Säule, wie aus einem römischen oder griechischen Tempel. All diese Attribute deuten auf einen klassischen Helden hin, der standhaft und unbeweglich an seinen Werten und Zielen festhält.

Auf der anderen Seite sehen wir eine dunkle Gestalt in noblem Gewand englischer Art. Seine Kleidung erscheint nicht nur als Englisch, sondern kann noch genauer im 17.Jahrhundert verortet werden – im England von Shakespeare und des Bürgerkrieges. Im Vergleich zu der eher reliefartigen Figur auf der Linken wirkt die Figur auf der Rechten sehr viel plastischer. Die Pose ist verdrehter, unausgewogener und komplizierter. Die Beine sind nicht auf der imaginären Horizontale aufgesetzt, sondern reichen zurück in den Raum hinein. Auch das Gewand und die Mimik sind sehr viel expressiver gezeichnet als die der glatten klassischen Figur. Der englische Edelman holt mit dem Degen zum Schlag gegen die klassische Figur aus. Zu seinen Füßen liegt ein gotisches Architekturelement.

Die kennzeichnende Fähigkeit eines Karikaturisten, wie die eines Poeten, ist es Sachverhalte mit wenigen Strichen in ihrer Essenz zu erfassen. Ebenso bringt diese Karikatur die Unterscheide zwischen Klassizismus und Romantik auf den Punkt. Der Klassizismus beschäftigt sich ebenso wie die Romantik mit der Geschichte. Doch beide haben ein ganz anderes Konzept von Geschichte und legen ihren Fokus auf vollkommen verschiedene Epochen. An den architektonische Elementen lässt sich dies leicht erkennen. Der Klassizismus fokussiert sich auf die Antike. Die Romantik konzediert sich auf die frühe Neuzeit und das ihrer Meinung nach missverstandene Mittelalter, was sich deutlich an dem gotischen Element erkennen lässt. Beide Strömungen entstanden als Reaktion auf das Ende der absolutistischen Herrschaft in England, Amerika und Frankreich. Die absolutistischen Monarchen hatten die Ideologie ihrer Herrschaft durch Barock und Rokoko ausgedrückt. Die aufstrebenden bürgerlich Klasse, welche den Sturz des Feudalismus bestimmte, brachte Klassizismus und Romantik hervor.

Beide diese Strömungen waren daher auch mit der Philosophie der Bürgerlichen assoziiert: der Spätaufklährung. Die Aufklärung des Barocks, welche in der Mechanik Isaac Newtons mündete, verstand die Welt und den Menschen wie ein riesiges rationales Uhrwerk und Gott als obersten Uhrmacher. Leibnitz zufolge befand sich die Welt in einem Zustand klarer mathematischer Gesetze und daher in prästabilier (von Anfang an festgelegten) Harmonie. Die Spätaufklärung war jedoch etwas skeptischer. Für die Philosophen dieser Zeit waren es die Menschen selbst, die in eine unschuldige Natur erst eine mechanische Logik des Verstandes hineinlegten. Man denke hier an Rousseaus Zivilisationskritik oder Kants Ding-An-sich. Aus diesem Grund sah man die geometrischen Gärten des Barock und die ornamentale Überladung des Rokoko als lüstern, unmoralisch und selbstgefällig. Man wollte eine Kunst zustande bringen, welche der Natur gerechter wurde. An den architektonischen Elementen und der Kleidung der Figuren leicht erkennbar, dass sich der Klassizismus bei der Suche nach dieser neuen Kunstform auf die Antike und die Romanik auf die frühe Neuzeit und das Mittelalter bezogen. 

Für den Klassizismus hatte die Antike eine Kunst hervorgebracht, welche durch ihre simplen und ausgewogenen Proportionen der Natur gerecht wurde – eine Idee, welche maßgeblich auf Johann Joachim Winkelmann zurückging. Der in Rom lebende Gelehrte verbreitete die Auffassung von der in seinen Worten “edlen Einfachheit und stillen Größe” der antiken Kunst als Inbegriff der natürlichen Schönheit. Die Laokoon Gruppe aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts vor Christus ist im allgemeinen ein sehr wichtiges Kunstwerk für die Bildung von Kunsttheorie, doch hatte einen besonders großen Einfluss auf die Bildung der klassizistischen Theorie. Johann Joachim Winkelmann schriebt über diese Skulptur in seiner berühmtesten Passage 1755: 

„Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele (…). Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktetes: sein Elend geht uns bis an die Seele, aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.“

In diesem Zitat kommen schon viele wichtige Aspekte des Klassizismus zusammen: Wir erkennen einen Bezug auf die Natur; ganz besonders herausgestellt wird die Ausgewogenheit der Figur und es wird deutlich gemacht, dass die Hauptfigur im Kunstwerk – Laokoon – als Heros eine Art Vorbildfunktion hat, ein Ideal verkörpert und zwar ein Ideal wie das Elend zu ertragen ist.

Daher erscheinen viele Bilder von Ingres oder David fast wie gemalte antike SkulpturenGruppen, welche sich immer an der Ausgewogenheit der Spannungsverhältnisse orientierten.

Im Klassizismus wurden also Prinzipien aus der Natur abgeleitet, welche als ewig galten und aus der Sicht der Klassizisten schon von den Römern und Griechen der Antike verstanden wurden. Daher versteht der Klassizismus die Geschichte nicht als Wandel, sondern als Fortsetzung dieser ewigen Werte der Natur. Man musste sich nur auf sie zurück besinnen. Eine Veränderung ist eher gefährlich, da sie den Verfall einer Gesellschaft in die Dekadenz bedeutet – d.h. ein Abfall von der richtigen Balance und Ausgewogenheit der Natur -, so wie es sich im Absolutismus gezeigt hatte. Man war abgefallen von den klassischen Werten und hatte zu überschwängliche und zu geometrische Architektur und Politik hervorgebracht. Die Antike passt auch hier als philosophische Grundlage. Diese ewigen Werte können als platonistische Ideen gedacht werden, welche abstrakt über jedem partikulären Ereignis schweben. Denn schließlich sagt auch der Platonismus, dass sich die empirische Welt wandelt, aber jedem individuellen partikulären Objekt eine ontologisch hochrangige abstrakte und unveränderliche Idee zugrunde liegt.

In vielen Bildern steht dabei häufig ein Held im Mittelpunkt, welcher diese abstrakten Werte der Natur dem Betrachter vermitteln soll. Man denke hier an Davids Leonidas. Dieser Heros wird zur idealen Verkörperung der universellen Werte, er wird zum Exemplum Virtutis, welches dem Betrachter das Gute lehren soll. Daher sind Körper und Mimik dieser Helden so glatt und perfekt. Sie sind Verkörperung, dieser abstrakten Ideale. In diesem Sinne geht es dem Klassizismus auch niemals um inneres Ringen, persönliche Gefühle oder irgend eine Form von Realismus, sondern um des abstrakten ewigen Ideals der Natur. 

Die Figur auf der linken Seite der Karikatur ist ebenso idealisiert und ausgewogen; sie erscheint wie eine antike Skulptur und verkörpert ohne individuelles inneres Ringen das Ideal der Standhaftigkeit. Seine Nacktheit verortet im mythischen Raum einer idealisieren Antike und nicht der realen Geschichte.

Wo der Klassizismus ewige Prinzipien in der Natur entdeckt, dort geht es der Romantik um das Unfassbare in der Natur, ein individuelles Erlebnis, dass sich nicht verallgemeinern oder in Gänze wiedergeben lässt. Die Romantik liebt das Unbestimmte, Andeutungsvolle und Atmosphärische. Daher waren romantische Maler auch so begeistert und inspiriert von der Landschaftsmalerei aus England von John Constable, welcher die Konturen des Dargestellten durch stimmungsvolle Lichteffekte ähnlich wie Turner verschwinden lässt. Der Natur gerecht werden bedeutet für die Romantik ein großes unbestimmtes Gefühl einer höheren Wahrheit im individuellen Erlebnis des Erhabenen zu vermitteln. 

Der Barock und Spätaufklärung hatten die Natur als ein logisches Uhrwerk verstanden, der Klassizismus hatte diese bestimmte Ableitung einer bestimmten Logik als falsch angesehen und stattdessen eine andere Ableitung gemacht, aber trotzdem war es immer noch die Ableitung objektiv erkennbarer Gesetzmäßigkeiten. Der Romantik geht es nun darum der Natur gerecht zu werden, indem man fehlschlägt sie in Gänze zu erfassen, indem man fehlschlägt objektiv erkennbare Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Das Erlebnis der Natur ist so überwältigende und gigantisch, das man ihr niemals gerecht werden kann. Insofern geht es der Romantik darum der Natur gerecht zu werden, indem man fehlschlägt sie in Gänze darzustellen. Daher steht im Zentrum der Romantik immer der Persönliche Blickwinkel, das persönliche Erleben, im Kontrast zum allgemeinen Gottesblick des Klassizismus.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel hielt in Berlin zwischen 1820 und 1829 seine berühmten Vorlesungen über die Ästhetik. In diesen Vorlesungen spricht er auch über Klassizismus und Romantik. In der Einleitung bereits erwähnt er die neue Entwicklung in der Kunst In seinen Worten können wir vielleicht noch besser verstehen, was die Romantik im Kontrast zum Klassizismus genau auszeichnet. Hegel sagt:

„Die schönen Tage der griechischen Kunst wie die goldene Zeit des späteren Mittelalters sind vorüber (…). Für (…) die Kunstproduktion [von heute] fordern wir (…) eine Lebendigkeit, in welcher das Allgemeine nicht als Gesetz und Maxime vorhanden sei, sondern als mit dem Gemüte und der Empfindung identisch wirke (…). Deshalb ist unsere Gegenwart ihrem allgemeinen Zustande nach der Kunst nicht günstig (…).

In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes. Damit hat sie für uns auch die echte Wahrheit und Lebendigkeit verloren und ist mehr in unsere Vorstellung verlegt, als dass sie in der Wirklichkeit ihre frühere Notwendigkeit behauptete und ihren höheren Platz einnähme.“ 

Hegel sagt also, dass, anstatt, dass das Allgemeine, was wie ein Gesetz oder eine Maxime wäre, zu versuchen darzustellen, sich die Kunst entschieden hätte, sich allein in die Vorstellung und das Gefühl zurückzuziehen. Und genau das zeichnet die Romantik aus.

Anders als im Klassizismus wird daraus kein ewiges Ideal abgeleitet, sondern das individuelle momenthafte Erleben steht im Zentrum. Das subjektive Erleben ersetzt das objektive d.h. allgemeine geltende Ideal. Es geht der Romantik um einzelne Personen und kleine Situationen, anstatt kollektive Entwicklungen oder abstrakte Ideale ins Zentrum zu Rücken. Der Fokus liegt daher immer auf dem Privaten und dem inneren Regen der Figuren. Anstatt den Helden als Exemplum Virtutis zu präsentieren, ist das Scheitern des Helden das Thema vieler Bilder. Damit emanzipiert sich der Held des Bildes vom universellen Ideal. Die Wahrheit und die richtige Art zu Leben ist nicht im abstrakten, allgemeinen und universellen zu finden, sondern vielmehr im Individuum und seiner Freiheit außerhalb von kollektiven Werten. Aus diesem Grund ist die Geschichte in der Romantik nicht durch universelle Werte bestimmt, sondern von einzelnen emotionalen Individuen getrieben, die in sich ringen.

Die Figur auf der rechten Seite der Karikatur ist aus diesem Grund so verdreht und trägt einen überzogenen emotionalen Gesichtsausdruck. Seine Kleidung ist historische akkurat und nicht idealisiert. Der englische Edelmann erscheint nicht als Ideal, sondern als stolperndes von inneren Emotionen getriebenes Wesen unabhängig von äußeren universellen Idealen.

Diese neue romantische Strömung in der Kunst, welche die Vielfalt, das Partikuläre und die Emanzipation von der Tradition hervorhebt, passte sehr gut zur neuen ökonomischen Macht der bürgerlichen Kaufleute und Großgrundbesitzer, welche durch Louis-Philip bestärkt wurden. Auch das bürgerliche Denken fokussiert sich auf atomarisierte Individuen und innere private Beweggründe, nicht auf das Universelle und Überindividuelle.

Die Figur in der Karikatur, welche die Romantik verkörpert, mit ihrer starken Ausdruckskraft und den aufgerissenen Augen erinnert nicht ohne Grund an Hamlet in seinem schwarzen Gewandt, der den klassischen Helden, wie Polonius durch den Vorhang ersticht, denn die Romantik legte einen großen Wert auf Literatur. Der Kunstkritiker Theophile Gautier schreibt über Paul Delaroche 1857 aus diesem Grund: 

„Für unser in erster Linie literarisch gebildetes Volk hat er seine Gemälde nicht gemalt, sondern geschrieben.“

Der Salon von 1831 und Paul Delaroche’s Arbeiten erfreuten sich solch immenser Beliebtheit, da ihre Sujets sich an der populären Literatur der Zeit orientieren. Die zunehmend alphabetisierte Bevölkerung interessierte sich aus den genannten Gründen auch im Bereich der Literatur vor allem für Geschichte. An einigen prominenten Beispielen können wir verdeutlichen, wie populär geschichtswissenschaftliche Literatur in dieser Zeit war. Das zehnbändige Werk “Histoire de la Revolution française” des Politikers Adolphe Thiers verkaufte sich noch im Jahr 1845 zwanzig Jahre nach dem Erscheinen über 80.000 mal in Frankreich. Auch die Verbindung mit der Kunst war schon in der Buchform nicht weit entfernt. Das oben genannte Zitat über die unsichere Lage der Geschichte stammt aus dem zwischen 1824 und 1826 verfassten Werk “Histoire des ducs de Bourgongne de la maison de Valois” von Prosper de Barante. Die 5. Auflage dieses Buches über die Familiengeschichte der Bourgongne erschien 1838 mit Illustrationen von Delacroix und Delaroche. Darüber hinaus war auch die englische Geschichtsschreibung von immenser Bedeutung und Texte zu diesem Thema erfreuen sich großer Beliebtheit. Augustin Thierry’s “Histoire de la conquête d’Angleterre par les Normands” von 1825 z.B. war in einem romantischen und eingängigen Stil verfasst, welcher sich auf das innere Ringen der historischen Persönlichkeiten konzentrierte. 1838 erschein auch dieses Werk illustriert von Historienmalern des Salons. 

Englische Geschichtsschreibung war so wichtig für die Franzosen, da sie in der englischen Geschichte Antworten auf die gegenwärtige Unsicherheit ihrer eigenen Geschichte suchten. Man begann Parallelen zwischen dem englischen Bürgerkrieg und der französischen Revolution zu ziehen, wobei Karl I. als Ludwig XVI., die Stuarts als Bourbonen und Cromwell als Napoleon verstanden wurden. Daher war auch die klassische romantische Literatur Englands in Frankreich sehr populär. Shakespier und Lord Byron wählten schließlich auch häufig historische Kontexte, um das innere Ringen ihrer Figuren zu präsentieren. Auch die historischen Romane des schottische Authors Sir Walter Scott erfreuten sich in Frankreich großer Beliebtheit. Im Salon von 1831 stellten 30 der beteiligten Maler Bilder mit Subjets, die sich auf Walter Scott bezogen, aus. Auch der Kunstmarkt Frankreichs war zunehmend mit Werken aus England gefüllt. In der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts übertraf der Handel mit englischer Grafik, den mit französischer Grafik in Frankreich selbst. Nun können wir die Frage beantworten, warum Delaroches Bilder zu diesem Zeitpunkt so interessant für das Pariser Publikum waren. Die politische und die historische Lage in Frankreich war seit 1789 extrem ungewiss. Die absolutistischen Monarchien wurden in Europa und Amerika abgeschafft. Auf diese Entwicklung regierte die Kunst im Salon mit den neuen Kunstformen der Romanik und dem Klassizismus, welche die absolutistische Barockkunst ersetzt. Diese zwei Kunstformen waren die Kunst jener Klasse, welche siegreich aus der Revolution hervorgegangen war: die bürgerliche Klasse. Die romantische Strömung bezog sich besonders auf die Geschichte Englands und englische Kunst, da zu dieser Zeit Literatur über die englische Geschichte sehr populär war. Die Franzosen versuchten Antworten auf ihr eigene Geschichte in der englischen Geschichte zu finden, daher waren Szenen aus der englischen Geschichte den Besuchern des Salons vertraut. Dieser Strömung schließt sich Delaroche an. Er wählt Motive, welche aus der englischen Geschichte stammen und sich mit Momenten des historischen Wandels auseinandersetzen. Mit einem Bild wir “Cromwell am Sarg von Karl I.” verhandelt er die historische Unsicherheit im Stil der Sieger der Revolution und unter der Verwendung der allseits bekannten englischen Geschichte. 

Doch nun haben wir bloß den Kontext dieses Kunstwerks beschrieben, aber noch keinen genauen Blick auf das Bild selbst geworfen. Welches Verständnis der Geschichte stellt Delaroche in seinen Bilder nun letztendlich da? Präsentiert er ein klassizistisches oder romantisches Geschichtsbild? Diese Frage werden wir in der nächsten Folge dieser Serie angehen.