BB003|DELAROCHE: "Die Söhne Eduards" & "Die Hinrichtung der Lady Jane Grey"

31.05.2021

SKRIPT

Der französische Maler Paul Delaroche war so ein einzigartiger Maler, da er die im 19. Jahrhundert dominanten Stile “Klassizismus” und ”Romantik” miteinander verband. Seine Figuren sind weder Verkörperungen transzendenter Ideale, noch sind sie emotionale Individuen ohne irgend eine große Erzählung. Er verbindet vielmehr Klassizismus und Romanik, indem seine Figuren zwar Teil sind einer großen Erzählung, aber dies nicht wissen oder erst im Rückblick feststellen. 

Wie zeigt sich diese Verbindung in seinen zwei Wohl berühmtesten Bildern – ”Die Söhne Eduards” und “Die Hinrichtung der Lady Jane Grey”? In dieser Folge werden wir uns diese Bilder genauer anschauen, um jene Frage zu beantworten.

Und damit herzlich Willkommen zur dritten Folge  BewegtBild – dem dritten und letzten Teil der kleinen Serie über den französischen Maler Paul Delaroche. In dieser Folge werden wir uns der Frage zuwenden, ob dieses Verständnis von Geschichte auch in anderen Gemälden Delaroche’s zu finden ist und zwar indem wir seine zwei berühmtesten Bilder analysieren: „Die Söhne Edwards“ und das ikonische Bild „Die Hinrichtung der Lady Jane Grey“.

Beginnen wir mit dem letzteren und auch bekannteren Gemälde: Jane Grey. Delaroches Crowell im Salon von 1831 war ein Erfolg für Delaroche, doch seine Darstellung der Hinrichtung von Lady Jane Grey war sein größter Erfolg und ist eigentlich das einzige Bild von Delaroche, das bis heute noch bekannt und beliebt ist. Theophil Gautier merkte an, dass Delaroche sein Bild am prominentesten Platz im Salon positioniert hatte und beschreibt, dass dieses Bild so populär war, dass man im Salon das Bild fast überhaupt nicht zu Gesicht bekam, weil sie die Menschen so sehr um es drängten und Wachen aufgestellt werden mussten, damit man den Salon überhaupt ordentlich betreten konnte. 

Gehen wir zunächst auf den Inhalt des Bildes ein: Was stellt dieses Bild dar? Wer ist diese Lady Jane Grey? Sie war die Enkelin der Schwester von Henry Tudor VIII. Henry hatte bestimmt, dass sie erst dann Königen werden würde, wenn alle seine anderen Kinder – seine Töchter Mary und Elisabet und sein Sohn Edward VI. – tot seien. Auf Henry folgte als König daher zunächst sein Sohn Edward VI. Edward erkrankte 1553 allerdings schwer an Tuberkulose. Er war zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt. Edward selbst war ein überzeugter Protestant und erklärte daher auf dem Totenbett seine Cousine Jane, welche ebenso Protestantin war, zur Thronfolgerin. Das führte natürlich zu Problemen mit Mary, welche laut dem Testament Henrys eigentlich Königin sein sollte. Auch die Bevölkerung Londons war davon überzeugt. Als Jane also nach London gebracht wurde und sich im Tower einrichtete, von wo aus alle Krönungen begonnen, marschierte Mary mit ihrer Armee nach London. Queen Mary I. ließ die nur siebzehnjährige Lady Jane Grey am 12 Februar 1554 enthaupten. Jane hatte den Titel Queen of England nur 9 Tage beansprucht. 

Diese Geschichte enthält natürlich jene Aspekte, welche die Menschen in Frankreich zu dieser Zeit faszinierten. Zunächst geht es hier um England, das als Reflexionsfläche für Ereignisse im eigenen Lande zu dieser Zeit diente und historische Umschläge. Allein das Bild einer jungen Frau aus dem Adel, welche auf dem Schafott hingerichtet wird, stieß auf Resonanz. Denn auch die Erinnerung an die eigene junge Königin Marie-Antoinette und ihre Hinrichtung am 16. Oktober 1793 in Paris waren noch nicht verblasst. Interessanterweise finden sich die Skizzen für dieses Gemälde auf dem selben Skizzenblatt wie die Skizzen zu seiner Darstellung von Marie Antoinette auf dem Weg zum Schafott. Interessanterweise trägt der Henker sogar eine rote Mütze, welche den Betrachter der Zeit natürlich unmittelbar an die roten Mützen der Jakobiner erinnern musste. 

Auch die englische und französische Literatur spielt hier wieder eine große Rolle im Erfolg des Gemäldes. Schon 1790 hatte Germaine de Staël mit ihrem Stück “Jane Grey, tragedie en vers” die tragische Geschichte von Lady Jane Grey in Frankreich popularisiert und als Topos etabliert. Sie wurde jedoch besonders durch die 1832 erschiene französische Übersetzung von Nicholas Harris Nicolas “Literary Remains of Lady Jane Grey” den französischen Lesern ins Gedächtnis gerufen. Zwei Jahre später 1834 stellte Delaroche sein Gemälde aus und aufgrund der populären Literatur, war die Darstellunge den Besuchern des Salons sofort familiär. 

Das Bild stellt die tragische Szene kurz vor der Hinrichtung dar. Lady Jane Grey kniet in ihrem reinen weißen Unterkleid mit verbundenen Augen vor dem Richtblock. Sie stellt das Zentrum des Bildes dar. Ihr weißes Kleid sticht als hellster Punkt des Bildes hervor. Der Mann im Zentrum an der Seite von Jane Grey ist John Brydges der Leutnant des Towers. Er umfängt Jane und wird damit auch Teil des Zentrums des Bildes.

Seine Art und Weise die junge Adlige zum Richtblock zu führen ist damit ein zentraler Teil des Bildes. Der Leutnant behandelt Jane keineswegs grob, sondern führt sanft die Hand der blinden jungen Frau. Es erscheint fast zärtlich, obwohl es der Weg in den Tod ist. Das macht die morbide Faszination des Bildes aus. Wenn man sich andere Darstellungen dieses Ereignisses anschaut, so erscheint John Brydges selten im Zentrum und in keinem Fall mit solch einer liebevollen Geste. Als Historienmaler, der einen wissenschaftlich akkuraten Ansatz bei der Darstellung historischer Ereignisse hat, beruft sich Delaroche auf eine historische Quelle aus dem 16. Jahrhunderts, “Martyrologe des Protestant” von 1588. Daraus zitiert er die folgende stelle im Salonführer: 

Da fragt Jane ihre Dienerinnen: ‚Was mache ich jetzt? Wo ist der Richtblock? Daraufhin führt Sir John Brydges, der sie nicht alleingelassen hatte, ihre Hand.‘ 

Auch die klagenden Dienerinnen der jungen Hofdame im linken Hintergrund verweisen auf dieses Zitat. Zunächst scheint es so, als würde sich diese Szene wie bei den Prinzen im Tower und Cromwell in einem kleinen Raum abspielen. Alle Akteure der Handlung stehen auf einer Ebene. Ein Licht ohne eindeutige Quelle im Bildraum selbst, beleuchtet wie ein Spotlight die zentrale Handlung des Gemäldes. 

Wenn wir uns eine typische Darstellung der Hinrichtung vor Augen führen, so ist deutlich zu sehen, dass die Handlung auf einer Art von hölzernen Schaubühne stattfindet. Diese Bühne war vor dem sogenannten Whitetower aufgebaut und in beinah allen Darstellungen des Motivs sehen wir ein großes Publikum um diesen Podest herum, welches die Hinrichtung beobachtet. Darüber hinaus wird Jane in vielen Darstellungen von einer Gruppe Wachen mit Lanzen zum Schafott begleitet. 

In der Darstellung von Delaroche scheint es auf den ersten Blick nicht der Fall zu sein, dass er diese Bühne in seine Darstellung aufnimmt. Es scheint außerdem zunächst so, als wären es nur diese fünf Personen zwischen denen sich dieses grausige Geschehen abspielt, als gäbe es weder weitere Wachen, noch weiteres Publikum.

Erst nach längerer Betrachtung wird deutlich, dass alle Elemente der klassischen Hinrichtungsszene doch vorhanden sind, nur haben sie eine Form angenommen, welche zum theaterhaften Charakter des Bildes beiträgt. Links neben der roten Strumpfhose des Henkers führt ein Geländer hinunter. Dieses Geländer weißt uns darauf hin, dass wir hier kein Kämmerchen vor uns haben, sondern eine große Halle (oder eine Fassade), in welcher diese Bühne aufgebaut ist. Das Geländer gehört zu der Treppe, welche herab in diese Halle führt. Das kleine Holzgeländer lässt uns erkennen, dass der Boden, auf welchem die Figuren stehen jene Holzbühne ist, die in den anderen Darstellungen in Gänze zu sehen ist. Neben dem Geländer kommen die spitzen einiger Lanzen zum Vorschein. Das sind die Lanzen der Wache, die wir zuvor auf dem Bild vermisst hatten. 

Bei Delaroche ist sie zunächst unsichtbar. Ein schwarzes Tuch liegt über ihr und sie ist nur an zwei Stellen zu erkennen: am Geländer und ganz unten rechts, wo das schwarze Tuch aufgeschlagen wurde und am Holz der Bühne findet sich Delaroche’s Signatur als Gravur im Holz. Das aufgeschlagene Tuch fällt an dieser Stelle über den Sims der Bühne und reicht hier quasi in den Realraum hinein. Das einzige Element, welches im Vergleich zu anderen Darstellungen fehlt, ist die Menschenmasse, welche die Hinrichtung beobachtet. Wo ist dieser Aspekt? Wie hat Delaroche diesen in die theaterhafte Bildsprache eingebunden?

Der Museumsbesucher übernimmt nun diese Rolle. Denn der Sims der Bühne stellt quasi das untere Ende des Bildes dar, wie als würde das Publikum des Museums im Theater sitzen und hinauf schauen auf das Geschehen zwischen den Schauspielern. Bei Delaroche wird der Betrachter selbst zu der gaffenden Menschenmasse, welche in seinem Bild im Vergleich zu der typischen Darstellung fehlt. Man kann sich hier sehr gut vorstellen wie gut dieser Effekt im überfüllten Salon 1834 funktioniert hatte. Delaroche macht diese Holzbühne zu einer Theaterbühne der Geschichte mit Spotlight, die wir aus der Zukunft begutachten können. 

Noch etwas anderes macht Delaroche ganz anders als klassische Darstellungen der Szene: John Bryges und auch der Henker, werden in klassischen Darstellungen des Motivs meistens als monströse Wesen, gefühllos oder bösartig dargestellt. Delaroche macht das bewusst anders. Das sieht man deutlich im Vergleich von Delaroches Vorzeichnung zu der finalen Version seines Gemäldes. 

In der Vorzeichnung erscheint nicht nur John Bryges, sondern ganz besonders auch der Henker als Monstren. Bryges hat einen bösartigen Gesichtsausdruck und die Art und Weise, wie er Lady Jane Grey umfängt, scheint eher bedrohlich und grob als liebevoll. Der Unterschied zwischen dem Henker in der Vorzeichnung und Henker im finalen Bild ist noch viel extremer. Der Henker in der finalen Version des Gemäldes erscheint jünger und eleganter. Seine Pose ist die einer antiken Athletenskulptur mit dem typischen Stand und Spielbein. Seine Hand liegt nur ganz sanft auf dem Griff der Axt, welche an einen Sarg im Hintergrund gelehnt ist. Der Henker auf der Skizze ist das genaue Gegenteil. Er ist eine erschreckende und abstoßende Gestalt mit seinem korpulenten und grobschlächtigen Aussehen. Er steht breitbeinig fest mit beiden Beinen auf dem Boden, die Knie durchgedrückt, seinen Bauch rausgestreckt. Er sieht unsauber, gefährlich und hässlich aus. Anders als der Henker auf dem Gemälde ist er mit dem Körper zum Richtblock gedreht und er hält ein überdimensioniertes Schwert bereit, um seine grässliche Tat zu vollbringen. 

In seiner Skizze spiegelt sich also ein eher klassizistischer Konflikt von ewigen Werten wieder. Es ist ein Kampf zwischen Unschuld, verkörpert von Lady Jane Grey und dem Bösen und Grobschlächtigen, welches sich in dem Henker und Bryges verkörpert. Das Gemälde stellt eine sehr viel komplexere Situation dar. Die Geste von Bryges ist nicht bösartig, sondern liebevoll und der Henker scheint das geschehen mit seiner besorgten Miene und dem unsicheren Griff auf der Axt eher mit Widerwillen zu betrachten. Sein Körper ist weggedreht vom Geschehen. Hinter ihm steht ein schwarzer Sarg. Im Aquarell gibt es keinen Sarg. Der Sarg scheint hinter dem Henker der finalen Version zu stehen, um seine Aufgabe dazustellen, welcher er eher widerwillig gegenübersteht – der Zwang Jane hinzurichten, wohingegen der Henker im Aquarell intrinsisch motiviert zu sein scheint. Er ist einfach in sich selbst Grobschlächtig, er verkörpert das Ideal des Bösen, wie im Klassizismus. Delaroche entscheidet sich gegen dieses Geschichtsverständnis. Seine Figuren sind keine Verkörperungen von ewigen Idealen, sondern vielmehr Schauspieler der Geschichte, die nicht zu wissen scheinen, dass sie Schauspieler sind, oder zumindest sich nicht mit ihrer Rolle identifizieren.

In dem Bild “Die Söhne Edwards” wird diese Ablehnung von einer klassizistischen Darstellungsform des Historischen noch deutlicher. 

Dieses Gemälde – die Söhne Edwards – was das zweite berühmte Gemälde, das Delaroche im Salon von 1831 ausstellte. Wie sein Cromwell trug auch dieses Gemälde wesentlich zur Sensation des Salons von 1831 bei und gilt bis heute als eines der Hauptwerke von Delaroche. 

Was stellt dieses Bild nun dar? Wir sehen zwei Jungen auf einem großen Bett mit verziertem Rahmen und schweren grünen Vorhängen sitzen. Beide tragen die schwarzen Gewänder von englischen Edelleuten des 15. Jahrhunderts. Vor ihnen steht ein Gebetstisch. Der eine der Jungen hat ein Gebetbuch auf dem Schoß und beide schienen nur einen kurzen Moment zuvor in die Lektüre vertieft gewesen zu sein. Der Titel verrät uns wer diese beiden Jungen sind: die Söhne Edwards des vierten. Es sind Richard of Shrewsbury, 1. Duke of York und seinen Bruder Edward V., der rechtmäßigen Thronfolger seines Vaters Edward IV, die beide im Royal Appartement im Tower auf die Krönung von Edward V. Warten.

Mit diesem Bild greift Delaroche wie bei seinem Cromwell ein Thema der englischen Geschichte auf, das auch schon von William Shakespeare in seinem Stück “Richard III.” popularisiert worden war. Das zunehmend gebildete Publikum kannte diese Szene entweder aus der populären historischen Literatur oder, was wahrscheinlicher ist, aus William Shakespeares Stück. Daher war vielen Besuchern wahrscheinlich bewusst, was diese Szene bedeutete, was ihr vorausgegangen war und was diesem Moment folgen sollte: die Ermordung der beiden Prinzen. 

Die beiden Prinzen waren die Söhne von Edward IV. und seiner Frau Elizabeth Woodville. Edward IV. machte seinen Sohn – Edward V. (links im Bild) bereits 1471 zum offiziellen Thronfolger und ließ diese Entscheidung vom Parlament bestätigen. Richard Duke of Gloucester, der spätere Richard III., war der väterliche Onkel der beiden Prinzen – der Bruder von Edward IV. Im Jahr 1483 starb Edward IV., als sein Sohn und Thronfolger erst 12 Jahre alt war. Richard von Gloucester wurde von seinem Bruder zum sogenannten Lord Protector ernannt. Das heißt, Richard sollte als Stellvertreter regieren, bis der eigentliche König, Edward V., gekrönt werden konnte. Richard nahm die Prinzen in seine Obhut und ließ die beiden Söhne Edwards in die sogenannten „royal appartements“ bringen, von wo aus die Krönungsvorbereitungen traditionell begannen. Das ist der Ort wo wir die beiden Prinzen im Bild sehen. 

Die Krönungsvorbereitungen wurden jedoch durch das plötzliche Auftauchen von Dokumenten unterbrochen, die nahelegen, dass Edward IV. – der gestorbene König – bereits verheiratet war, bevor er die Mutter des Thronfolgers, Elizabeth Woodville, geheiratet hatte. Diese Dokumente machten den zu diesem Zeitpunkt noch eigentlichen Thronfolger Edward V. zu einem unehelichen Sohn und berauben ihn damit seines Anspruchs auf den Thron. Das Parlament machte den Onkel der Prinzen – Richard von Gloucester – zum König Richard III. Was mit den beiden Prinz geschah ist bis heute heiß umstritten. Die Prinzen wurden noch bis September 1483 im Tower gesichtet. Danach ist ungewiss, was mit ihnen geschah.

Thomas More war der erste, der die Ermordung der Prinzen Richard in seiner Biographie von Richard III., „History of Richard the Third“, zuschrieb. Diese Biographie wurde ein halbes Jahrhundert nach dem tatsächlichen Ereignis geschrieben und basierte ebenfalls weitgehend auf Gerüchten und Mores eigener Erfindung. Dieses Buch von More war, wie viele Bücher über englische Geschichte, in Frankreich sehr beliebt, aus Gründen, die wir im ersten Teil erläutert haben. More beschreibt das Ereignis wie folgt: 

Dann kamen dieser Miles Forest und John Dighton [die Mörder], gegen Mitternacht (die ahnungslosen Kinder in ihren Betten liegend), in die Kammer und griffen sie plötzlich, verhüllten und fesselten sie in Lacken und pressten mit Gewalt das Federbett und die Kissen brutal gegen ihre Münder, so dass innerhalb kurzer Zeit beiden, erdrückt und erstickt, ihr Atem versagte und ihre unschuldigen Seelen Gott in die Freuden des Himmels übergeben waren, so dass den Peiniger nur ihre Körper tot im Bett blieben.

Diese Beschreibung ist historisch umstritten. Dennoch diente sie als Quelle für Historienmaler. Besonders populär wurde diese Szene natürlich durch Shakespeare.

In dem berühmten Stück des Barden ist klar, dass Richard III. den Mord an den Prinzen veranlasst hatte. Im vierten Akt sagt einer der Schergen in seinem Monolog:

Geschehn ist die tyrannisch blut’ge Tat, 

Der ärgste Greuel jämmerlichen Mords,

Den jemals noch dies Land verschuldet hat. 

Dighton und Forrest, die ich angestellt

Zu diesem Streich ruchloser Schlächterei, 

Zwar eingefleischte Schurken, blut’ge Hunde, –

Vor Zärtlichkeit und mildem Mitleid schmelzend, 

Weinten wie Kinder bei der Trau’rgeschichte.

»O so«, sprach Dighton, »lag das zarte Paar«; 

»So, so«, sprach Forrest, »sich einander gürtend 

Mit den unschuld’gen Alabasterarmen:

Vier Rosen eines Stengels ihre Lippen, 

Die sich in ihrer Sommerschönheit küßten.

Und ein Gebetbuch lag auf ihrem Kissen;

In diesem Monolog wird der Kontrast zwischen dem kaltblütigen Richard und den unschuldigen Kindern, die er ermordet hatte, unterstrichen. Hier sind es nicht die Mörder, welche das ewig Böse verkörpern, da sie sich schämen für ihre Tat sondern der Usurpator Richard. So wie das Buch von Thomas More eine Studie über Schurkerei – eine Studie des ewig Bösen – ist, so ist es auch Shakespeares Stück. Richard wird einfach als Böse dargestellt, als würde er als solches geboren wurden. Das macht Shakespier auch an seinem Aussehen fest. Denn Richard hat bei ihm einen Buckel. So wird er in gewisser Hinsicht zur Verkörperung eines aus der Natur abgeleiteten ewigen Prinzip des Bösen. Dieses Motiv wurde von vielen Malern aufgegriffen – der Kontrast zwischen dem Ewig Bösen und ewig unschuldiegen in Form der beiden Prinzen. Richard ist dabei ein bösartiger Usurpator, der sich den Thron durch die Ermordung der Prinzen unter den Nagel reißt. 

Die typische Darstellung des gleichen Motivs betont nämlich, wie Shakespier und More den Kontrast zwischen den bösen Mördern und den tugendhaften Kindern. 

Theodor Hildebrandt stellt in seinem Gemälde „Die Ermordung der Söhne Edwards IV.“ von 1835 deutlich einen Konflikt zwischen dem ewig Groben und Bösen und dem ewig Unschuldigen dar. Die beiden jungen Prinzen schlafen friedlich auf dem großen Bett und umarmen sich gegenseitig im Schlaf. Ihre Unschuld wird durch das Gebetbuch und den Rosenkranz noch unterstrichen. Die grobschlächtigen Mörder mit ihren struppigen Bärten und dem Kissen schon bereit, um die beiden Prinzen zu ersticken, haben sich aus der Dunkelheit hinter dem Bett angeschlichen. 

Diese Version ist schon etwas schwächer im Kontrast des Guten und des Schlechten, denn der zweite Mörder, der hinter seinem Kollegen wartet zeigt fast schon Reue, so wie Shakespeare es beschrieben hatte. Diese Version entstand vier Jahre nach Delaroches Darstellung. 

An einer älteren Version dieses Gemäldes wird deutlich, wie stark die Betonung dieses Kontrasts klassischerweise war. James Northcote Darstellung der selben Szene aus dem Jahr 1786 ist geradezu grotesk. Die beiden jungen Prinzen schlafen friedlich und umarmen sich im Schlaf. Ein himmlisches Licht erleuchtet ihre reine Haut. Neben ihnen liegt das Gebetsbuch. Die Kinder sind unschuldig und fromm. Sie wirken fast schon wie ein Karikatur oder wie die Kinderfiguren aus Porzellan mit ihren rosigen Wangen, wie man sie aus dem Rokoko kennt. Aus dem Schatten haben sich die zwei grobschlächtige Hünen angeschlichen im Begriff den Mord an unschuldigen zu vollbringen. 

Beide haben solch verzerrte und bösartige Gesichter, dass sie beinah nicht mehr menschlich wirken. Der linke hält eine Lampe, die dramatische Schatten auf seinem Gesicht wirft. Er scheint beinah zu lächeln über den Mord. Der Andere ist in voller Rüstung. Er fletscht die Zähne. Sein Helm sitzt so tief, das seine Augen nicht sichtbar sind, das nimmt ihm jede Menschlichkeit. Das zeigt sich auch daran, dass in diesem Bild beide Mörder das Kissen halten, welches sie zum Ersticken der Kinder nutzen werden. Diese Darstellungen sind in gewisser Weise klassizistisch. Die Mörder verkörpern das absolut Böse und die Prinzen das absolut Gute. Es geht in diesem Bild also um einen Konflikt zwischen gewissen ewigen Prinzipien, nämlich dem Guten und dem Bösen. 

Delaroches Darstellung ist also nicht klassizistisch, denn im Klassizismus geht es um den Kampf zwischen Prinzipien, wie Gut und Böse. Delaroche entscheidet sich gegen eine solche Darstellung. Ist sein Bild dann vielleicht romantisch? Die Romantik konzentriert sich auf die emotionalen Individuen. Werfen wir einen kurzen Blick in die Kritiken der Zeit wird deutlich, dass zwar der glatte und akkurate Malstil gelobt wurde, aber gerade, weil alles so glatt gemalt war fehlt der Ausdruck und auch die wirkliche Emotianalität der Figuren. Im „Journal des Débats politiques et litteraires“ konnte man z.B. lesen, dass „der Künstler alle Mittel seines Talents ausgeschöpft hat, um die Realität naturgetreu [nachzuempfinden]“. August Jal fragt in seinem Bericht über den Salon beispielsweise: „Ist das fini nicht ein wenig zu gleichmäßig auf allen Flächen, auf allen Objekten verteilt?“ Nicht nur seinen laut vielen Kritikern die Gegenstände zu genau gemalt, doch gerade deswegen wirkten die Figuren und die Gegenstände in gewisser Hinsicht falsch, ohne Ausdruckskraft, ohne Emotion. Wie als hätte man diese Gegenstände und Figuren frisch hergestellt und als Requisiten für ein Theaterstück hier in diesem kleinen Kämmerchen platziert. Diese Frische sei der Effekt des fehlenden Ausdrucks, so dass auch die Figuren im Bild wie Gegenstände wirkten. Gustave Planche erzählt dazu eine Anekdote in seiner Kritik der Bilder im Salon, die polemisch diese Kritiken auf den Punkt bringt. Er schreibt: 

„Was Edouard betrifft, müssen wir zugeben, dass den beiden Köpfen das Leben fehlt, dass es unmöglich ist, das Blut unter diesem lila Fleisch zu erraten; Alles ist hoffnungslos neu: Die Möbel, die Kleidung, sogar die Figuren sind neu und wurden nie benutzt. Eines dieser letzten Tage näherte sich eine witzige Frau der Leinwand, schaute auf eine Ecke eines der Möbelstücks, in die der Künstler Staub malen wollte, und sagte mit leiser Stimme: ‚Oh, das ist aber sehr sauberer Staub.‘“

Planche wirft Delaroche also vor, dass sein akkurater Malstil, sein Bild falsch oder unauthentisch erscheinen lässt. Als ob all das historische Material nur neue Requisiten wären und nicht tatsächlich verwendet würden. Als ob selbst die Menschen nur die Requisiten wären. Sein Bild sei so ausdruckslos, dass selbst der Staub sauber sei.

Nicht nur diese Falschheit der wissenschaftlich akkuraten Gegenstände in Verbindung mit dem mangelnden Ausdruck erzeugt dieses Gefühl der Theaterhaftigkeit, sondern auch die gesamte Wahl der Szenerie, die gesamte Kompostion. 

Der Blick des Betrachter ist wie der Blick auf eine Theaterbühne. Man blickt in einen Raum mit vier Wänden, von denen die vierte für uns transparent ist, so wie es auf einer Theaterbühne der Fall ist. Die Figuren sind in einem Raum aus dem sie uns – das Publikum – nicht sehen können. Aber wir können sie sehen, da die vierte Wand für uns durchsichtig ist. Die Vorhänge an dem großen Holzbett wirken darüber hinaus noch wie die schweren Vorhänge vor einer Theaterbühne. So doppelt sich der Blick auf die Theaterbühne des Raumes im großen Bett. Eine Bühne auf der Bühne. Die Vorhänge wurden zurückgezogen und wir können nun das Drama beobachten. Auch das Licht ist hier interessant: Das Licht scheint von oben rechts in das Bild zu kommen. Wir sehen die Lichtquelle allerdings nicht. Doch auf bewusste Weise beleuchtet es direkt die beiden Köpfe der Protagonisten, die weiß aus dem Dunkel hervorstechen. Sie fungiert genauso wie ein Scheinwerfer, wie wir es auch auf dem Bild „Die Hinrichtung der Lady Jane Grey“geschehe hatten. Das Bild war offenkundig so theaterhaft, dass es sogar von Casimir Delavigne im Bühnenbild seiner Tragödie „Les enfants d’Edouard“ im Jahre 1833 eins zu eins nachgestellt wurde. 

Es ist also ebenso unmöglich, das Bild als ein romantisches Gemälde zu qualifizieren, denn die Emotion fehlt den Figuren und sie wirken vielmehr, wie Theaterrequisiten, als wie reale emotionale Individuen. Das Bild ist also weder klassizistisch noch romantisch. 

In der zehnten Auflage der sogenannten „Real-Encyklopedie für die gebildeten Stände“ von 1855 konnte man über Delaroche daher lesen:

„[Bei der Vorliebe für populäre historische Stoffe] ist [Delaroche] aber durchaus kein ästhetischer Terrorist; alles Gräßliche ist sorgsam vermieden und aus dem grauenhaftesten Drama bloß irgend ein spannender Moment scharf erfaßt oder glücklich angedeutet.“

Genau das sehen wir in diesem Bild. Delaroche zeigt das Ereignis des Mordes selbst nicht. Damit raubt er seinem Bild einerseits den Konflikt zwischen ewigen Prinzipien wie des Guten und des Bösen und andererseits auch jede Emotion von Schrecken, Wut oder Angst. Das was in diesem Zitat als Schwäche tituliert wird ist eigentlich eine Stärke von Delaroche. Betrachten wir das Bild genauer, um zu begreifen wodurch Delaroche diesen Moment spannend macht, indem er das Wissen des Publikums nutz, obwohl nichts zu sehn ist. Die Komposition wird nämlich von zwei Brennpunkten geprägt. Die blassen Gesichter der Prinzen, die aus der Dunkelheit herausragen, sind der eine Brennpunkt der Komposition, der andere ist der kleine Hund – ein King-Charles-Spaniel -, der den Blick des Betrachters auf den leuchtenden Schlitz unter der Tür lenkt. Er steht stramm vor der Tür, als ob er auf etwas lauschen würde. Unter dieser Tür ist der Schatten eines Menschen zu sehen – die Schatten seiner beiden Beine vielleicht, oder vielleicht sind es zwei Menschen. Das erklärt, warum der kleine Hund stramm vor der Tür steht, scheinbar bereit, seine Herrchen vor der Gefahr zu schützen, die er zu wittern scheint. Dieser Schatten ist für das belesene Publikum eindeutig als die Schergen zu verstehen, der von Richard geschickt wurde, um die beiden Prinzen zu ermorden. 

Indem Delaroche das „Schreckliche“ – der Mord selbst – vermeidet, vermeidet er auch ein Geschichtsverständnis, das den Kampf zwischen Idealen oder ein Geschichtsverständnis, welches sich auf Individuen konzentriert, wie in der Romantik. Er vermittelt keine moralische und auch keine emotionale Botschaft. Stattdessen spielt er mit dem Wissen seines Publikums im Kontrast zum Wissen der Figuren im Bild.

Das Publikum, welches Shakespier kannte, wusste, was auf diesen Moment folgen wird: die Mörder betreten den Raum und ermorden die beiden Prinzen. Die beiden Jungen wissen dies nicht. Indem Delaroche die Mörder nicht zeigt legt er einen expliziten Fokus auf diese Dynamik von Wissen und Unwissen. Die Tür ist kurz davor sich zu öffnen, um den Prinzen ihr Schicksal zu enthüllen. Wir kennen es bereits. Durch diese Dynamik wird das Bild spannend. Man könnte auch sagen es ist ein Bild der Suspence, denn Genua diese Dynamik von Wissen und Unwissen beschreibt der amerikanische Regisseur Alfred Hitchcock als die Essenz der “Suspence”. Um dies zu verdeutlichen benutzt Hitchcock häufig das Beispiel einer Bombe: 

Für Hitchcock entsteht Suspence immer durch eine Dynamik von Wissen und Unwissen: das Publikum weiß, dass dort eine Bombe unter dem Tisch ist, die Figuren im Film nicht. Auch hier gibt es eine Bombe, von der die Figuren im Bild nichts wissen: die Mörder hinter der Tür und das Pariser Publikum weiß bei Delaroches Bild, dass die Bombe auf jeden Fall hochgehen wird, dass jeden Moment die Mörder durch die Tür platzen werden und die Prinzen sterben werden. 

Diese beiden Prinzen sind unwissend, sie wissen noch nicht, dass all ihre Handlungen sie an diesen Ort gebracht haben, um für das Ziel Richards König zu werden getötet werden müssen. Aber wir, das Publikum, die wir wissen, dass dort eine Bombe unter dem Tisch liegt, wissen es. Die Prinzen kennen ihr historisches Schicksal noch nicht, das sie mit ihren Handlungen vollbracht haben, aber wir kennen es. Erst im Rückblick wissen wir, dass die Geschichte diesen Weg nehmen müssen. 

Das Publikum ist in diese Dynamik von Wissen und Unwissen direkt eingebunden, da das Publikum natürlich mehr weiß als die Figuren im Bild genau so wie bei Hitchcock und zwar auf der Ebene der Geschichte. Wir blicken auf diese Prinzen aus der Zukunft. In dies Dynamik spielt das theaterhafte des Bildes hinein. Diese Prinzen sind Schauspieler in der Geschichte, aber sie wissen noch nicht, welche Rolle sie spielen. Aber das Publikum, welches aus der Zukunft auf sie schaut, kennt ihre Rolle. Die vierte Wand spiegelt diese Dynamik. Die Schauspieler auf der Bühne wissen nicht, dass sie Schauspieler sind, dass ein Publikum sie beobachtet, aber das Publikum weiß es, denn die vierte Wand ist für uns durchsichtig. Auf die selbe Weise wurde das Publikum in die Szene bei der Hinrichtung von Lady Jane Gray eingebaut. Das Publikum ist Titel des Bildes aber blickt auf die Bühne der Geschichte von der Zukunft. Auch in diesem Bild Identifizieren sich die Figuren nicht mit ihren Rollen.

Diese zeitliche Ebene ist bei Delaroche einzigartig, denn die klassizistischen Helden wissen ganz genau, welche Rolle sie spielen und diese Rolle sind Ewige Ideale wie Gut und Böse, die sich über die Zeit hinweg nicht verändern. Die romantischen Helden vollziehen nur individuelle momentane Handlungen. Auch hier gibt es keine Tatsächliche Zeitlichkeit.

Bei Delaroche gibt es eine historische Rolle, aber die Helden identifizieren sich nicht wirklich mit ihr oder kenne sie nicht. Das macht dieses Bild zu einer Synthese aus Klassizismus und Romantik durch die Ebene der Zeitlichkeit. In der Gegenwart, in welcher sich die Figuren im Bild befinden, haben die Handlungen der Figuren nur eine momentane emotionale Bedeutung – das ist romantisch – , erst im Rückblick wird diese deutlich historische Bedeutung der Handlungen klar – sie wird klassizistisch.

Diese Verbindung der beiden Stilformen durch eine Ebene der Zeitlichkeit macht Delaroche zu einem einzigartigen Maler des 19.Jhr.