HEGELS DIALEKTIK ERKLÄRT NACH SLAVOJ ZIZEK

24.06.2021

SKRIPT

Wenn man den Namen Hegel hört, so denkt man meist an den Begriff der Dialektik. Die Dialektik ist bekanntermaßen das zentrale Element von Hegels philosophischem System. Um Hegels Denksystem zu verstehen, muss man also auch die Dialektik verstehen. Doch was bedeutet Dialektik? Meistens wird sie auf die Begriffe These-Antithese-Synthese heruntergebrochen. Das ist vollkommen falsch und stammt stattdessen von Fichte und wurde von Schelling (Hegels einstigem Zimmergenossen) aufgegriffen. In keinem einzigen Text von Hegel selbst findet sich diese Beschreibung der Dialektik. Um Hegels Dialektik wirklich zu verstehen, müssen wir begreifen aus welchem historischen Kontext Hegels Philosophie hervorgeht. Hegel war der Hauptvertreter des deutschen Idealismus, einer philosophischen Bewegung, welche sich maßgeblich durch die Auseinandersetzung mit Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ entwickelte. Kant beschrieb in dieser ersten Kritik die Grenzen der Vernunft. Diese Grenze ist aus seiner Sicht das „Ding-an-sich“. Das bedeutet, wir könnten die Wahrheit der Gegenstände, der Objekte um uns herum, denen wir begegnen, in Wirklichkeit nie in Gänze erkennen, da sie durch unsere Kategorien und Wahrnehmungsapparate quasi gefiltert werden.

Wenn wir einem Objekt begegnen wie z.B. einem Baum, so nehmen wir den Baum zunächst in Raum und Zeit wahr. Die Farben des Baumes existieren nur durch das Licht, welches vom Baum in unsere Augen reflektiert wird. Und auch alle anderen Wahrnehmungen des Baumes existieren nur für den Betrachter, nur im Verhältnis zu dem Betrachter. Ob der Baum auch an sich in Raum und Zeit existiert, ob der Baum auch an sich grüne Blätter hat ohne einen Betrachter, können wir aus unserer subjektiven Perspektive des Baumes nie objektiv feststellen. Laut Kant können wir durch unsere Vernunft zwar feststellen, dass es einen Baum jenseits unserer Wahrnehmung gibt, aber wir können niemals wissen was dieser Baum an sich wirklich ist.

Kant versucht mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ die Objektivität von Aussagen zu fundieren, ohne sich auf eine unfundierte Annahme über das Ding-an-sich stützen zu müssen. Eine solche Annahme wäre nur schwer zu fundieren, denn es wäre eine Annahme über das, was Philosophen „Substanz“ nennen. 

Was soll „Substanz“ hier genau bedeuten? Substanz meint das grundlegende Material, aus dem alles gemacht ist, das erste Prinzip. Substanz ist der Grund des Seins, das woraus alles besteht. Das Wort kommt aus dem Lateinischen („substantia“ oder „substare“) und bedeutet „Darunter stehend“. 

Ganz besonders die Vorsokratiker (d.h. die Philosophen, welche vor Sokrates im antiken Griechenland Philosophie betrieben) stellten sich diese Frage, was das erste Prinzip der erste Stoff sei. Thales zum Beispiel, so betrachtet es Aristoteles, ging davon aus, dass alles auf dem Wasser basiere. Anaximenes glaubte der erste Stoff sei Luft. Anaximander, welcher der Schüler von Thales war, ging davon aus, dass es die ursprüngliche Substanz unbestimmt sei, sich aber in den Formen vom Feuer, Wasser, Erde und Luft manifestiere. 

Man kann dieses Spiel ewig weiter spielen. In der Entwicklung dieser Philosophischen Diskussion taucht auch das Subjekt auf – das zweite Wort in Hegels Formel. Demokrit, ein weiterer Vorsokratiker postulierte, dass Atome die Ursubstanz seien. Diese Atome bewegen sich laut Demokrit in einem Vakuum. Dieses Nichts zwischen dem Sein macht es möglich, dass sie sich bewegen können. Lukrez ging davon aus, dass dieses Vakuum den Atomen ermöglichte, ihre freie Neigung auszuleben. Das ist seiner Meinung nach der Ursprung des freien Willens. Dadurch entsteht also ein gewisser Dualismus in der Substanz. Es gibt auf der einen Seite Atome und auf der anderen Seite das Vakuum.

René Descartes greift diesen Dualismus bekanntermaßen auf. Für ihn gibt es nicht nur eine Substanz aus der alles besteht, sondern zwei, nämlich Geist und Körper, Leib und Seele, Subjekt und Objekt. 

Kant versucht mit der „Kritik der reinen Vernunft“ solche Aussagen über die Substanz, wie wir sie jetzt beschrieben haben, zu vermeiden. Für Kant können wir keine Aussage über das Ding-an-sich machen, welche objektiv wäre. Hegel hingegen versucht eine Aussage über die Substanz zu machen, welche objektiv sein kann. Und er tut dies, indem er die Unmöglichkeit, welche Kant zwischen dem Betrachter (bzw. der Erscheinung des Dings/dem Wahrnehmungsapparat) und dem Ding-an-sich auf der Ebene der Wahrnehmung beschreibt, auf die Ebene der Ontologie überführt, indem er diese Unmöglichkeit nicht zu einer Unmöglichkeit der Wahrnehmung macht, sondern eine der Substanz.

Hegel bringt seine Position gegenüber Kant in seinem ersten Hauptwerk “Die Phänomenologie des Geistes” im folgenden Satz auf den Punkt: 

Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken.

Dieser Satz wird meistens folgendermaßen zusammengefasst: “Substanz ist Subjekt”. Der slowenische Philosoph Mladen Dolar, der gemeinsam mit Salvoj Zizek und Alena Zupancic zur sogenannten slowenischen Troika gehört, erklärt diesen Satz zum funderementalen Axiom der Hegel’schen Philosophie. 

In diesem Video möchte ich erklären, was Hegel mit diesem zentralen Satz seiner Philosophie meint. Um Hegels Dialektik zu versehen, müssen wir diesen zentralen Satz seines dialektischen Systems begreifen.

Kurz gesagt versucht Hegel mit diesem Satz und mit seiner Dialektik, dass das Subjekt, welches dem Objekt begegnet, welches das Objekt wahrnimmt, selbst immer Teil dieses Objekts ist. Das Objekt und das Subjekt sind nicht zwei vollkommen verschiedne Substanzen, sondern zwei Seiten ein und der selben Substanz. Aus Hegels Sicht ist diese Unmöglichkeit des Subjekts das Objekt in Gänze zu erfassen die Unmöglichkeit der einen Substanz, sich selbst in Gänze zu erfassen. Für Hegel gibt es nur eine Substanz, aber diese ist sich selbst nicht vollkommen identisch und kann sich selbst nicht vollkommen verstehen. Das ist Hegels These, doch was ist Hegels Argument für diese eigenartige These? 

Hegels Argument für diese Position ist eigentlich relative einfach zu verstehen.  Nämlich ist sein Argument, dass es logisch unmöglich ist, dass Substanzen existieren können, die sich selbst vollkommen gleich sind. Das Reine, das was vollkommen mit sich selbst identisch ist, ist wortwörtliche leer und inhaltlos Hegel zufolge. 

Der Dualismus und auch der Monismus von Substanzen – d.h. dass zwei Substanzen existieren, wie z.B. Leib und Seele oder die Idee, dass nur eine Substanz existiertet, der Monismus, also z.B. die Idee, dass alles aus Wasser besteht – setzt in beiden Fällen voraus, dass Substanzen existieren, die sich vollkommen selbst gleich sind. Im Dualismus haben wir zwei verschiedne Substanzen, wie z.B. Leib und der Leib ist mit sich vollkommen selbst identisch und auf der anderen Seite haben wir die Seele. Aus Hegels Sicht kann dieses Reine nicht wirklich existieren, bzw. es kann nur als Leere existieren. Warum ist das der Fall? Hegel erklärt dies sehr deutlich in seiner „Wissenschaft der Logik“ am Beispiel von Sein und Nichts.

Er beginnt mit einem Dualismus. Wenn Sein und Nichts als Dualismus existieren, dann müssen sie in ihrer Reinform unabhängig voneinander existieren können. Daher fragt er sich, was dieses reine Nichts genau wäre. Über das Nichts schreibt er das Folgende:

Nichts, das reine Nichts; es ist einfache Gleichheit mit sich selbst, vollkommene Leerheit, Bestimmungs- und Inhaltslosigkeit; Ununterschiedenheit in ihm selbst.

Man kann sich das an einem vollkommen dunklen Raum gut vorstellen. Man sieht nichts und dieses Nichts hat keine Unterscheidung in sich, es ist einfach überall gleich mit sich selbst. Man muss in dieser Vorstellung quasi auch den Betrachter herausstreichen, da diese Dunkelheit ja auch ungleich wäre mit dem Betrachter. Es ist einfach totale Leere.

Was ist dann das reine Sein? Über das reine Sein schreibt Hegel das folgende:

Sein, reines Sein, – ohne alle weitere Bestimmung. In seiner unbestimmten Unmittelbarkeit ist es nur sich selbst gleich und auch nicht ungleich gegen Anderes, hat keine Verschiedenheit innerhalb seiner noch nach außen.

Man kann sich das an einem vollkommen erleuchteten Raum vorstellen. Man sieht ebenso nichts außer pures weißes Licht, aber es könnte ebensogut schwarz sein, weil es nichts gibt, gegen welches diese Weißheit kontrastieren könnte. Sie ist vollkommen gleich mit sich selbst. 

Reines Sein und Reines Nichts sind also genau das selbe. Sie sind beide Leere und sie sind Leere, weil sie totale Gleichheit mit sich selbst sind – vollkommene Ununterschiedenheit. Diese reine Leere kann man als die erste Substanz begreifen. Damit aus dieser Leere etwas entsteht, muss sich diese Leere von sich selbst unterscheiden. Sie muss sich an einem Punkt mit sich selbst ungleich werden, denn Sein und Nichts sind, wie wir wissen sind, zwei vollkommen verschiedene Dinge. Damit Sein und Nichts als Sein und Nichts existieren können, müssen sie sich unmittelbar aufeinander beziehen, sonst fallen sie in die reine Leere zurück und wären wieder das selbe. 

Sein und Nichts können nicht unabhängig von einander existieren: Sein ist nur Sein, weil Sein nicht Nichts ist und Nichts ist nur Nichts, weil Nichts nicht das Sein ist. 

Doch, wenn es nur eine Substanz gibt, wie Hegel sagt, dann muss sich diese Substanz von sich selbst unterscheiden, damit diese Unterscheidung zwischen Sein und Nichts überhaupt eingeführt werden kann. Hegel lehnt den Dualismus ab. Es gibt also nur eine Substanz und nichts außerhalb von dieser Substanz. Wenn es nur eine Substanz gibt, dann kann keine äußere Macht außerhalb von dieser Substanz diese Unterscheidung eingeführt haben. Es kann keine zweite Substanz geben, welche auf die erste einwirkt, um diese Unterscheidung möglich zu machen. Es ist ein Fehler in dieser ersten Substenz. Diese erste Substanz muss sich selbst an einem Punkt ungleich sein. Es ist dieser Fehler, welcher es ermöglicht, dass eine Unterscheidung existiert und damit, dass überhaupt irgendetwas existiert. Dass die Substanz einen Fehler hat, folgt also notwendigerweise daraus, dass überhaupt etwas existiert, denn in ihrer Gleichheit ist sie leer, da das Reine leer ist und nicht existiert. Diese Ungleichheit in ein und der selben Substanz, das ist das Subjekt, von dem Hegel im anfänglichen Zitat gesprochen hatte. „Substanz ist Subjekt“, weil das Subjekt keine zweite Substanz ist, welche auf die erste einwirkt, sondern die erste Substanz muss von Anfang an eine Unterschiedenheit mit sich selbst gehabt haben. 

Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek formuliert diese Bedeutung des Subjekts in seinem Buch „Weniger als Nichts.“ wie folgt:

Um die tiefgreifende Verbindung zwischen Subjekt und dem Nichts (der Leere) zu begreifen, muss man Hegels berühmtes Diktum über Substanz und Subjekt sehr genau lesen. (…) (D)as Subjekt (…) (steht für) die Unvollständigkeit der Substanz, für deren inneren Widerspruch und innere Bewegung, für das Nichts, das die Substanz von innen her durchkreuzt, ihre Einheit zerstört.

Durch diese Selbstunterscheidung, d.h. durch das Subjekt in der Substanz, kann das Sein als Sein und das Nichts als Nichts existieren, weil sie nun einen minimalen Abstand zueinander gewinnen und sich dadurch unterscheiden. Da sie nicht rein sind und nicht unabhängig voneinander existieren können, weil sie dann wieder das selbe wären in ihrer Leere, bedeutet das, dass sie sich immer gegenseitig quasi verunreinigen. Man kann sich das am Beispiel eines Möbiusbandes gut vorstellen. Ein Möbius-Band erscheint so, als hätte es zwei Seiten, hat aber in Wirklichkeit nur eine. Wollen wir eine der Seiten für sich verfolgen, so kommen wir immer auf der anderen Seite wieder heraus. Das bedeutet auch, dass wenn wir eine Seite für sich isolieren wollen, wir unmittelbar wieder auf der anderen Seite herauskommen und wir eine Seite von der anderen Seite trennen wollen, das ganze Band verschwinden muss. Eine Seite kann nicht isoliert von der anderen existieren. Hegel nennt diese Notwenigkeit einer Substanz, sich auf ihr Gegenteil zu stützen das „Sich-Anders-Werden“. Das sein wird sich selbst ein Andere im Nichts und es braucht diesen Anderen, denn ohne dieses Andere wäre es wieder leer. 

Die Substanz wird sich selbst ein Anderer (muss sich ein Anderer werden), um nicht Leere zu sein. Genau dieses sich selbst ein anderer werden, genau das ist diese minimale Ungleichheit mit sich selbst. An irgend einem Punkt ist sich die Substanz (oder die Leere, wenn man so will) selbst fremd und nur dadurch ist sie nicht Leere. Aus dieser Position des sich selbst fremd Werdens, der minimalen Ungleichheit in der Substanz, aus dieser Position der Verunreinigung durch das Gegenteil, kann die Substanz zum ersten mal zurück blicken und quasi im Rückblick feststellen, was sie einmal war in ihrer Leere.

Der slowenische Philosoph Mladen Dolar bezieht diesen Rückblick und auch dieses Fallen aus der Gleichheit mit sich selbst auf den christlichen Mythos des Sündenfalls, wie im folgenden clip: [„SUBSTANCE IS SUBJECT“. Vortrag an der Europäischen Universität in St. Petersburg. 04.12.2018]

Der Clou bei Hegel ist also, dass dieses Paradies, in dem noch nicht diese minimale Ungleichheit mit sich selbst existiert, nur im Rückblick existiert. Denn ohne diesen Fall, ohne diesen Fall in die minimale Ungleichheit mit sich selbst, gäbe es, wie wir es beschrieben hatten, nichts, was fällt. Damit etwas sein kann, das fallen könnte, muss es zuerst im Fallen begriffen sein. Diese minimale Ungleichheit muss quasi zuerst existieren, damit wir dann zurückblicken können und uns fragen, was war einmal die Reinheit. Das Eine existiert erst nachdem es in zwei zerfallen ist. Slavoj Žižek bezieht dieses interessante Paradoxon, dass etwas zuerst fallen muss aus seiner Selbstidentität, um dann zurückblicken zu können, um zu wissen was, es einmal wirklich mit sich selbst war, auf die Quantenphysik. Er schreibt in seinem Buch „Sex and the failed Absolut“ das folgende:

Erinnern wir uns an das Paradoxon des Photons ohne Masse: für ein gewöhnliches Teilchen (wenn es so etwas gibt), stellen wir es uns als ein Objekt mit einer Masse vor, und wenn seine Bewegung beschleunigt wird, wächst diese Masse; ein Photon jedoch hat keine Masse in sich selbst, seine gesamte Masse ist das Ergebnis der Beschleunigung seiner Bewegung. Das Paradoxe ist hier ein Ding, das in Bezug auf sich selbst immer (und nichts als) ein Überschuss ist: in seinem normalen Zustand ist es nichts.

Das Photon ist in der totalen Gleichheit, also im stillen/neutralen Zustand nichts. Erst, wenn es außerhalb von sich tritt, erst als Überschuss (in einer Bewegung), kann es etwas werden, damit es überhaupt eine Masse geben kann, welche sich bewegt. 

Ebenso existiert das Sein nicht als neutraler Zustand und das Nichts nicht als Gleichheit mit sich selbst. In der Einheit mit sich selbst, sind Sein und Nichts leere Begriffe. Sie können nicht existieren. Erst nachdem sie aus dieser Einheit herausgefallen sind, gewinnen sie sich selbst. Doch dieses Sich-Selbst-Gewinnen, geht immer damit einher, sich selbst auch wieder im Gegenteil zu verlieren. Sie gewinnen sich selbst erst in ihrem Gegenteil, also in einem anderen. In diesem Zusammenhang verwendet Hegel den Begriff des „Sich-Anders-Werdens“. 

Das Sein muss sich selbst ein Anderer werden im Nichts, damit es sich selbst sein kann. Es wird sich selbst also in gewisser Hinsicht fremd. Es ist aus dem Paradies der totalen Gleichheit mit sich selbst herausgefallen. Dieses Sich-Unterscheiden ist jedoch nicht befriedigend, denn das bedeutet sich im Anderen immer schon verloren zu haben. Deswegen sind Sein und Nichts auch immer der Versuch wieder sie selbst zu werden. Das Problem dabei ist nur, wenn sie die Unterscheidung voneinander auflösen, dann lösen sie sich selbst auch wieder auf. Daher sind sie, der ständige Versuch sie selbst zu werden.

Slavoj Žižek formuliert diese Notwendigkeit eines Falls aus der Selbstidentität und den retroaktiven Effekt dieses Falls als einen Mythos des Anfangs des Universums. Er schreibt das Folgende :

Am (logischen) Anfang steht ein Überschuss, der ‚aus dem Nichts‘ auftaucht (vielleicht in einer Weise, die homolog ist zum Auftauchen von etwas aus dem Nichts der Leere in der Quantenmechanik), und erst in einem sekundären Zug postuliert dieses + (in Bezug auf das Nichts) rückwirkend ein mit sich selbst identisches Etwas, in Bezug auf das es ein Überschuss ist; aber dieses Postulieren, diese Verwandlung vom + in das eine, muss letztlich scheitern, der Überschuss bleibt, so dass wir das Eine mit einem Überschuss bekommen.

Da die erste sich selbst identische Substanz leer ist, muss zuerst aus dieser Leere ein Überschuss kommen, eine minimale Ungleichheit (in/von der Leere) ein Punkt an dem die Substanz nicht gleich mit sich selbst ist. Und erst im Rückblick kann diese Ungleichheit darauf schließen, dass sie ein Überschuss von etwas war, das einmal mit sich selbst identisch war. Erst durch diesen Rückblick entsteht aus der Leere etwas. Hegel geht also davon aus, dass Subjekt und Objekt zwei Seiten der selben Substanz sind, da reine Substanzen leer sind und daher ein Monismus oder Dualismus ausgeschlossen ist. Die Substanz muss also einen Punkt der Ungleichheit mit sich selbst haben, einen Punkt der Ungleichheit, an dem diese selbe Substanz sich in Objekt und Subjekt unterscheidet. Diese Einheit, welche sich in sich, dennoch unterschieden ist, genau das ist es, was man „dialektisch“ nennt. Sein und Nichts sind Gegenteile, aber sie können nur als Gegenteile in einer Verbindung zueinander existieren. 

Nun ist die Frage, wie sich dies auf das Kant’sche Problem des Ding-an-sich bezieht. Kehren wir zurück zu unserem Beispiel des Baumes. Wie begreift Hegel diesen Wahrnehmungsprozess aus seiner dialektischen Sicht? Der Betrachter und der Baum sind aus seiner Sicht nicht mehr zwei vollkommen getrennte Substanzen, sondern Teil ein und der selben Substanz. Um zu verstehen, was Hegel hier meint, verfolgten wir den Wahrnehmungsprozess Schritt für Schritt. Für Hegel steht am Anfang der Baum als totales Objekt. Im zweiten Schritt stellt der Betrachter fest, dass er den Baum gerade wahrnimmt und dass der Baum nur Baum ist, weil er ihn als solchen Wahrnimmt. Nun haben wir in einem dritten Schritt also zwei Bäume: einen Baum-an-sich (aus dem ersten Schritt) und einen Baum-für-sich aus der Sicht des Betrachter (aus dem zweiten Schritt). Meine Sicht verfehlt den Baum. Die Erscheinungen des Baumes-für-mich, umfasst den Baum-an-sich nicht in Gänze, aber nur durch meine Sicht kann der Baum Baum sein. D.h. der Baum hat sich in einem Gegenteil, in etwas, das nicht er ist entfremdet, aber nur dadurch kann er Baum sein, so wie das Nichts nur Nichts sein kann, durch seine Unterscheidung vom Sein. Zwischen dem Baum-für-sich und dem Baum-an-sich gibt es eine Unterscheidung. Das ist das Subjekt in der Substanz des Baumes, das ist der minimale Punkt an dem der Baum sich selbst ungleich wird. Aber nur durch diese Ungleichheit ist der Baum nicht leere, sondern der Baum als Erscheinungen und Baum-an-sich. Die Subtanz ist durch uns, durch den Betrachter (also Subjekt in ihr) für-sich und nur dadurch kann sie auch an-sich sein, aber hat sich dadurch auch immer schon in ihrem Gegenteil verloren. Die Verfehlung des Betrachters (das Subjekt in der Substanz) den Baum in seinem An-sich-sein zu erfassen, ist eigentlich eine Verfehlung der Substanz sich selbst in Gänze zu erfassen (d.h. selbstidentisch zu sein). Die reine subjektive Wahrnehmung des Baumes also der Baum-für-sich wäre leer, denn sie hätte kein Objekt. Sie könnte sich auf keinen Baum beziehen. Und der Baum als reines Objekt ohne Betrachter, d.h. der Baum-an-sich wäre ebenso leer, denn er hätte jedes Baum-sein verloren. Die Entwicklung der Idee des Baumes, die Erforschung des Baumes ist der ständige Versuch den Baum-an-und-für-sich zu erfassen. Das hieße die Erscheinung und das Ding-an-sich zur Ununterschiedenheit, zur totalen Gleichheit zu bringen. Durch diese Erforschung entwickelt sich die Idee des Baumes, versucht zu sich selbst zu kommen, so wie Sein und Nichts immer verunreinigt durch ihr Gegenteil immer auf dem Weg zu sich selbst sind. Genau diese unmögliche Gleichheit der Substanz mit sich selbst, also die Gleichheit von Baum-an-sich und Baum-für-sich und der daraus folgende Weg der Substanz zurück zu sich selbst, genau das ist, was Dialektik bei Hegel bedeutet.

Fassen wir also zusammen: Dialektik ist die Einheit von etwas, das Ungleich mit sich selbst ist. Nur in dieser dialektischen Form können Dinge überhaupt existieren. 

  1. gibt es nur eine Substanz, denn das Reine ist leer,
  2. muss diese Substanz mit sich selbst an einem Punkt ungleich sein, denn das Reine ist leer und
  3. hat die Substanz dadurch die Gleichheit, Selbstidentität immer schon verloren und ist dadurch auch immer der Weg zurück zu sich selbst, zurück zur Selbstidentifikation. 
 

Dialektik ist also Hegels Erklärung dafür, warum überhaupt etwas existiert anstatt, dass einfach nur pure Leere existiert. Und seine Antwort ist, dass etwas existiert, weil die Substanz mit sich selbst an einem Punkt ungleich ist. Sie muss mir sich selbst ungleich sein, denn das Reine ist leer.