Präambel
Wir haben in der ›Vorläufigen Mitteilung‹! berichtet, daß sich uns während der Forschung nach der Ätiologie hysterischer Symptome auch eine therapeutische Methode ergeben hat, die wir für praktisch bedeutsam halten. »Wir fanden nämlich, anfangs zu unserer größten Überraschung, daß die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgang zu voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen, und wenn dann der Kranke den Vorgang in möglichst ausführlicher Weise schilderte und dem Affekt Worte gab« (S. 85).
Wir suchten uns ferner verständlich zu machen, auf welche Weise unsere psychotherapeutische Methode wirke: »Sie hebt die Wirksamkeit der ursprünglich nicht abreagierten Vorstellung dadurch auf, daß sie dem eingeklemmten Affekte derselben den Ablauf durch die Rede gestattet, und bringt sie zur assoziativen Korrektur, indem sie dieselbe ins normale Bewußtsein zieht (in leichterer Hypnose) oder durch ärztliche Suggestion aufhebt, wie es im Somnambulismus mit Amnesie geschieht« (S. 97).
Ich will nun versuchen, im Zusammenhange darzutun, wie weit diese Methode trägt, um was sie mehr als andere leistet, mit welcher Technik und mit welchen Schwierigkeiten sie arbeitet, wenngleich das Wesentliche hierüber bereits in den voranstehenden Krankengeschichten enthalten ist und ich es nicht vermeiden kann, mich in dieser Darstellung zu wiederholen.
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Ich darf auch für meinen Teil sagen, daß ich am Inhalte der ›Vorläufigen Mitteilung‹ festhalten kann; jedoch muß ich eingestehen, daß sich mir in den seither verflossenen Jahren – bei unausgesetzter Beschäftigung mit den dort berührten Problemen – neue Gesichtspunkte aufgedrängt haben, die eine wenigstens zum Teil andersartige Gruppierung und Auffassung des damals bekannten Materiales an Tatsachen zur Folge hatten. Es wäre unrecht, wenn ich versuchen wollte, meinem verehrten Freunde J. Breuer zuviel von der Verantwortlichkeit für diese Entwicklung aufzubürden. Die folgenden Ausführungen bringe ich daher vorwiegend im eigenen Namen.
Als ich versuchte, die Breuersche Methode der Heilung hysterischer Symptome durch Ausforschung und Abreagieren in der Hypnose an einer größeren Reihe von Kranken zu verwenden, stießen mir zwei Schwierigkeiten auf, in deren Verfolgung ich zu einer Abänderung der Technik wie der Auffassung gelangte. (1) Es waren nicht alle Personen hypnotisierbar, die unzweifelhaft hysterische Symptome zeigten und bei denen höchstwahrscheinlich derselbe psychische Mechanismus obwaltete; (2) ich mußte Stellung zu der Frage nehmen, was denn wesentlich die Hysterie charakterisiert und wodurch sich dieselbe gegen andere Neurosen abgrenzt.
Ich verschiebe es auf später mitzuteilen, wie ich die erstere Schwierigkeit bewältigt und was ich aus ihr gelernt habe. Ich gehe zunächst darauf ein, wie ich in der täglichen Praxis gegen das zweite Problem Stellung nahm. Es ist sehr schwierig, einen Fall von Neurose richtig zu durchschauen, ehe man ihn einer gründlichen Analyse unterzogen hat; einer Analyse, wie sie eben nur bei Anwendung der Breuerschen Methode resultiert. Die Entscheidung über Diagnose und Art der Therapie muß aber vor einer solchen gründlichen Kenntnis gefällt werden. Es blieb mir also nichts übrig, als solche Fälle für die kathartische Methode auszuwählen, die man vorläufig als Hysterie diagnostizieren konnte, die einzelne oder mehrere von den Stigmen oder charakteristischen Symptomen der Hysterie erkennen ließen. Dann ereignete es sich manchmal, daß die therapeutischen Ergebnisse trotz der Hysteriediagnose recht armselig ausfielen, daß selbst die Analyse nichts Bedeutsames zutage förderte. Andere Male versuchte ich Neurosen mit der Breuerschen Methode zu behandeln, die gewiß niemandem als Hysterie imponiert hätten, und ich fand, daß sie auf diese Weise zu beeinflussen, ja selbst zu lösen waren. So ging es mir z. B. mit den Zwangsvorstellungen, den echten Zwangsvorstellungen nach Westphalschem Muster, in Fällen, die nicht durch einen Zug an Hysterie erinnerten. Somit konnte der psychische Mechanismus, den die ›Vorläufige Mitteilung‹ aufgedeckt hatte, nicht für Hysterie pathognomonisch sein; ich konnte mich auch nicht entschließen, diesem Mechanismus zuliebe etwa soviel andere Neurosen in einen Topf mit der Hysterie zu werfen. Aus all den angeregten Zweifeln riß mich endlich der Plan, alle anderen in Frage kommenden Neurosen ähnlich wie die Hysterie zu behandeln, überall nach der Ätiologie und nach der Art des psychischen Mechanismus zu forschen und die Entscheidung über die Berechtigung der Hysteriediagnose von dem Ausfalle dieser Untersuchung abhängen zu lassen.
So gelangte ich, von der Breuerschen Methode ausgehend, dazu, mich mit der Ätiologie und dem Mechanismus der Neurosen überhaupt zu beschäftigen. Ich hatte dann das Glück, in verhältnismäßig kurzer Zeit bei brauchbaren Ergebnissen anzukommen. Es drängte sich mir zunächst die Erkenntnis auf, daß, insofern man von einer Verursachung sprechen könne, durch welche Neurosen erworben würden, die Ätiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei. Daran reihte sich der Befund, daß verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen. Und nun konnte man, in dem Maße, als sich das letztere Verhältnis bestätigte, auch wagen, die Ätiologie zur Charakteristik der Neurosen zu verwerten und eine scharfe Scheidung der Krankheitsbilder der Neurosen aufzustellen. Trafen ätiologische Charaktere mit klinischen konstant zusammen, so war dies ja gerechtfertigt.
Auf diese Weise ergab sich mir, daß der Neurasthenie eigentlich ein monotones Krankheitsbild entspreche, in welchem, wie Analysen zeigten, ein »psychischer Mechanismus« keine Rolle spiele. Von der Neurasthenie trennte sich scharf ab die Zwangsneurose, die Neurose der echten Zwangsvorstellungen, für die sich ein komplizierter psychischer Mechanismus, eine der hysterischen ähnliche Ätiologie und eine weitreichende Möglichkeit der Rückbildung durch Psychotherapie erkennen ließen. Anderseits schien es mir unbedenklich geboten, von der Neurasthenie einen neurotischen Symptomenkomplex abzusondern, der von einer ganz abweichenden, ja, im Grunde genommen gegensätzlichen Ätiologie abhängt, während die Teilsymptome dieses Komplexes durch einen schon von E. Hecker (1893) erkannten Charakter zusammengehalten werden. Sie sind nämlich entweder Symptome oder Äquivalente und Rudimente von Angstäußerungen, und ich habe darum diesen von der Neurasthenie abzutrennenden Komplex Angstneurose geheißen. Ich habe von ihm behauptet, er käme durch die Anhäufung physischer Spannung zustande, die selbst wieder sexualer Herkunft ist; diese Neurose hat auch noch keinen psychischen Mechanismus, beeinflußt aber ganz regelmäßig das psychische Leben, so daß »ängstliche Erwartung«, Phobien, Hyperästhesie gegen Schmerzen u. a. zu ihren regelmäßigen Äußerungen gehören. Diese Angstneurose in meinem Sinne deckt sich gewiß teilweise mit der Neurose, die unter dem Namen »Hypochondrie« in so manchen Darstellungen neben Hysterie und Neurasthenie anerkannt wird; nur daß ich in keiner der vorliegenden Bearbeitungen die Abgrenzung dieser Neurose für die richtige halten kann und daß ich die Brauchbarkeit des Namens Hypochondrie durch dessen feste Beziehung auf das Symptom der »Krankheitsfurcht« beeinträchtigt finde.
Nachdem ich mir so die einfachen Bilder der Neurasthenie, der Angstneurose und der Zwangsvorstellungen fixiert hatte, ging ich an die Auffassung der gemeinhin vorkommenden Fälle von Neurosen heran, die bei der Diagnose Hysterie in Betracht kommen. Ich mußte mir jetzt sagen, daß es nicht angeht, eine Neurose im ganzen zur hysterischen zu stempeln, weil aus ihrem Symptomenkomplex einige hysterische Zeichen hervorleuchten. Ich konnte mir diese Übung sehr wohl erklären, da doch die Hysterie die älteste, die bestbekannte und die auffälligste der in Betracht kommenden Neurosen ist; aber es war doch ein Mißbrauch, derselbe, der auf die Rechnung der Hysterie so viele Züge von Perversion und Degeneration hatte setzen lassen. Sooft in einem komplizierten Falle von psychischer Entartung ein hysterisches Anzeichen, eine Anästhesie, eine charakteristische Attacke zu entdecken war, hatte man das Ganze »Hysterie« genannt und konnte dann freilich das Ärgste und das Widersprechendste unter dieser Etikette vereinigt finden. So gewiß diese Diagnostik unrecht war, so gewiß durfte man auch nach der neurotischen Seite hin sondern, und da man Neurasthenie, Angstneurose u. dgl. im reinen Zustande kannte, brauchte man sie in der Kombination nicht mehr zu übersehen.
Es schien also folgende Auffassung die berechtigtere: Die gewöhnlich vorkommenden Neurosen sind meist als »gemischte« zu bezeichnen; von der Neurasthenie und der Angstneurose findet man ohne Mühe auch reine Formen, am ehesten bei jugendlichen Personen. Von Hysterie und Zwangsneurose sind reine Fälle selten, für gewöhnlich sind diese beiden Neurosen mit einer Angstneurose kombiniert. Dies so häufige Vorkommen von gemischten Neurosen rührt daher, daß deren ätiologische Momente sich so häufig vermengen; bald nur zufälligerweise, bald infolge von kausalen Beziehungen zwischen den Vorgängen, aus denen die ätiologischen Momente der Neurosen fließen. Dies läßt sich unschwer im einzelnen durchführen und erweisen; für die Hysterie folgt aber hieraus, daß es kaum möglich ist, sie für die Betrachtung aus dem Zusammenhange der Sexualneurosen zu reißen; daß sie in der Regel nur eine Seite, einen Aspekt des komplizierten neurotischen Falles darstellt und daß sie nur gleichsam im Grenzfalle als isolierte Neurose gefunden und behandelt werden kann. Man darf etwa in einer Reihe von Fällen sagen: a potiori fit denominatio.
Ich will die hier mitgeteilten Krankengeschichten daraufhin prüfen, ob sie meiner Auffassung von der klinischen Unselbständigkeit der Hysterie das Wort reden. Anna O., die Kranke Breuers, scheint dem zu widersprechen und eine rein hysterische Erkrankung zu erläutern. Allein dieser Fall, der so fruchtbar für die Erkenntnis der Hysterie geworden ist, wurde von seinem Beobachter gar nicht unter den Gesichtspunkt der Sexualneurose gebracht und ist heute einfach für diesen nicht zu verwerten. Als ich die zweite Kranke, Frau Emmy v. N., zu analysieren begann, lag mir die Erwartung einer Sexualneurose als Boden für die Hysterie ziemlich ferne; ich war frisch aus der Schule Charcots gekommen und betrachtete die Verknüpfung einer Hysterie mit dem Thema der Sexualität als eine Art von Schimpf – ähnlich wie die Patientinnen selbst es pflegen. Wenn ich heute meine Notizen über diesen Fall überblicke, ist es mir ganz unzweifelhaft, daß ich einen Fall einer schweren Angstneurose mit ängstlicher Erwartung und Phobien anerkennen muß, die aus der sexuellen Abstinenz stammte und sich mit Hysterie kombiniert hatte.
Fall 3, der Fall der Miß Lucy R., ist vielleicht am ehesten ein Grenzfall von reiner Hysterie zu nennen, es ist eine kurze, episodisch verlaufende Hysterie bei unverkennbar sexueller Ätiologie, wie sie einer Angstneurose entsprechen würde; ein überreifes, liebebedürftiges Mädchen, dessen Neigung zu rasch durch ein Mißverständnis erweckt wird. Allein die Angstneurose war nicht nachzuweisen oder ist mir entgangen. Fall 4, Katharina, ist geradezu ein Vorbild dessen, was ich virginale Angst genannt habe; es ist eine Kombination von Angstneurose und Hysterie; die erstere schafft die Symptome, die letztere wiederholt sie und arbeitet mit ihnen. Übrigens ein typischer Fall für so viele, »Hysterie« genannte, jugendliche Neurosen. Fall 5, der des Fräuleins Elisabeth v. R., ist wiederum nicht als Sexualneurose erforscht; einen Verdacht, daß eine Spinalneurasthenie die Grundlage gebildet habe, konnte ich nur äußern und nicht bestätigen. Ich muß aber hinzufügen, seither sind die reinen Hysterien in meiner Erfahrung noch seltener geworden; wenn ich diese vier Fälle als Hysterie zusammenstellen und bei ihrer Erörterung von den für Sexualneurosen maßgebenden Gesichtspunkten absehen konnte, so liegt der Grund darin, daß es ältere Fälle sind, bei denen ich die absichtliche und dringende Forschung nach der neurotischen sexualen Unterlage noch nicht durchgeführt hatte. Und wenn ich anstatt dieser vier Fälle nicht zwölf mitgeteilt habe, aus deren Analyse eine Bestätigung des von uns behaupteten psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene zu gewinnen ist, so nötigte mich zur Enthaltung nur der Umstand, daß die Analyse diese Krankheitsfälle gleichzeitig als Sexualneurosen enthüllte, obwohl ihnen den »Namen« Hysterie gewiß kein Diagnostiker verweigert hätte. Die Aufklärung solcher Sexualneurosen überschreitet aber den Rahmen dieser unserer gemeinsamen Veröffentlichung.
Ich möchte nicht dahin mißverstanden werden, als ob ich die Hysterie nicht als selbständige neurotische Affektion gelten lassen wollte, als erfaßte ich sie bloß als psychische Äußerung der Angstneurose, als schriebe ich ihr bloß »ideogene« Symptome zu und zöge die somatischen Symptome (hysterogene Punkte, Anästhesien) zur Angstneurose hinüber. Nichts von alledem; ich meine, man kann in jeder Hinsicht die von allen Beimengungen gereinigte Hysterie selbständig abhandeln, nur nicht in Hinsicht der Therapie. Denn bei der Therapie handelt es sich um praktische Ziele, um die Beseitigung des gesamten leidenden Zustandes, und wenn die Hysterie zumeist als Komponente einer gemischten Neurose vorkommt, so liegt der Fall wohl ähnlich wie bei den Mischinfektionen, wo die Erhaltung des Lebens sich als Aufgabe stellt, die nicht mit der Bekämpfung der Wirkung des einen Krankheitserregers zusammenfällt.
Es ist mir darum so wichtig, den Anteil der Hysterie an den Bildern der gemischten Neurosen von dem der Neurasthenie, Angstneurose usw. zu sondern, weil ich nach dieser Trennung einen knappen Ausdruck für den therapeutischen Wert der kathartischen Methode geben kann. Ich möchte mich nämlich der Behauptung getrauen, daß sie – prinzipiell – sehr wohl imstande ist, jedes beliebige hysterische Symptom zu beseitigen, während sie, wie leicht ersichtlich, völlig machtlos ist gegen Phänomene der Neurasthenie und nur selten und auf Umwegen die psychischen Folgen der Angstneurose beeinflußt. Ihre therapeutische Wirksamkeit wird also im einzelnen Falle davon abhängen, ob die hysterische Komponente des Krankheitsbildes eine praktisch bedeutsame Stelle im Vergleich zu den anderen neurotischen Komponenten beanspruchen darf oder nicht.
Auch eine zweite Schranke ist der Wirksamkeit der kathartischen Methode gesetzt, auf welche wir bereits in der ›Vorläufigen Mitteilung‹ hingewiesen haben. Sie beeinflußt nicht die kausalen Bedingungen der Hysterie, kann also nicht verhindern, daß an der Stelle der beseitigten Symptome neue entstehen. Im ganzen also muß ich für unsere therapeutische Methode einen hervorragenden Platz innerhalb des Rahmens einer Therapie der Neurosen beanspruchen, möchte aber davon abraten, sie außerhalb dieses Zusammenhanges zu würdigen oder in Anwendung zu ziehen. Da ich an dieser Stelle eine »Therapie der Neurosen«, wie sie dem ausübenden Arzte vonnöten wäre, nicht geben kann, stellen sich die vorstehenden Äußerungen einer aufschiebenden Verweisung auf etwaige spätere Mitteilungen gleich; doch meine ich, zur Ausführung und Erläuterung noch folgende Bemerkungen anschließen zu können:
(1) Ich behaupte nicht, daß ich sämtliche hysterische Symptome, die ich mit der kathartischen Methode zu beeinflussen übernahm, auch wirklich beseitigt habe. Aber ich meine, die Hindernisse lagen an persönlichen Umständen der Fälle und waren nicht prinzipieller Natur. Ich darf diese Fälle von Mißglücken bei einer Urteilsfällung außer Betracht lassen, wie der Chirurg Fälle von Tod in der Narkose, durch Nachblutung, zufällige Sepsis u. dgl. bei der Entscheidung über eine neue Technik beiseite schiebt. Wenn ich später von den Schwierigkeiten und Übelständen des Verfahrens handeln werde, sollen die Mißerfolge solcher Herkunft nochmals gewürdigt werden.
(2) Die kathartische Methode wird darum nicht wertlos, weil sie eine symptomatische und keine kausale ist. Denn eine kausale Therapie ist eigentlich zumeist nur eine prophylaktische, sie sistiert die weitere Einwirkung der Schädlichkeit, beseitigt aber damit nicht notwendig, was die Schädlichkeit bisher an Produkten ergeben hat. Es bedarf in der Regel noch einer zweiten Aktion, welche die letztere Aufgabe löst, und für diesen Zweck ist im Falle der Hysterie die kathartische Methode geradezu unübertrefflich brauchbar.
(3) Wo eine Periode hysterischer Produktion, ein akuter hysterischer Paroxysmus, überwunden ist und nur noch die hysterischen Symptome als Resterscheinungen erübrigen, da genügt die kathartische Methode allen Indikationen und erzielt volle und dauernde Erfolge. Eine solche günstige Konstellation für die Therapie ergibt sich nicht selten gerade auf dem Gebiete des Geschlechtslebens, infolge der großen Schwankungen in der Intensität des sexuellen Bedürfnisses und der Komplikation der für ein sexuelles Trauma erforderten Bedingungen. Hier leistet die kathartische Methode alles, was man ihr zur Aufgabe stellen kann, denn der Arzt kann sich nicht vorsetzen wollen, eine Konstitution wie die hysterische zu ändern; er muß sich damit bescheiden, wenn er das Leiden beseitigt, zu dem eine solche Konstitution geneigt ist und das unter Mithilfe äußerer Bedingungen aus ihr entspringen kann. Er wird zufrieden sein, wenn die Kranke wieder leistungsfähig geworden ist. Übrigens entbehrt er auch eines Trostes für die Zukunft nicht, wenn er die Möglichkeit der Rezidive in Betracht zieht. Er kennt den Hauptcharakter in der Ätiologie der Neurosen, daß deren Entstehung zumeist überdeterminiert ist, daß mehrere Momente zu dieser Wirkung zusammentreten müssen; er darf hoffen, daß dieses Zusammentreffen nicht sobald wieder statthaben wird, wenn auch einzelne der ätiologischen Momente in Wirksamkeit geblieben sind.
Man könnte einwenden, daß in solchen abgelaufenen Fällen von Hysterie die restierenden Symptome ohnedies spontan vergehen; allein hierauf darf man antworten, daß solche Spontanheilung sehr häufig weder rasch noch vollständig genug abläuft und daß sie durch das Eingreifen der Therapie außerordentlich gefördert werden kann. Ob man mit der kathartischen Therapie nur das heilt, was der Spontanheilung fähig ist, oder gelegentlich auch anderes, was sich spontan nicht gelöst hätte, das darf man für jetzt gerne ungeschlichtet lassen.
(4) Wo man auf eine akute Hysterie gestoßen ist, einen Fall in der Periode lebhaftester Produktion von hysterischen Symptomen und konsekutiver Überwältigung des Ich durch die Krankheitsprodukte (hysterische Psychose), da wird auch die kathartische Methode am Eindrucke und Verlaufe des Krankheitsfalles wenig ändern. Man befindet sich dann wohl in derselben Stellung gegen die Neurose, welche der Arzt gegen eine akute Infektionskrankheit einnimmt. Die ätiologischen Momente haben zu einer verflossenen, jetzt der Beeinflussung entzogenen Zeit ihre Wirkung in genügendem Ausmaße geübt, nun werden dieselben nach Überwindung des Inkubationsintervalls manifest; die Affektion läßt sich nicht abbrechen; man muß ihren Ablauf abwarten und unterdes die günstigsten Bedingungen für den Kranken herstellen. Beseitigt man nun während einer solchen akuten Periode die Krankheitsprodukte, die neu entstandenen hysterischen Symptome, so darf man sich darauf gefaßt machen, daß die beseitigten alsbald durch neue ersetzt werden. Der verstimmende Eindruck einer Danaidenarbeit, einer »Mohrenwäsche« wird dem Arzte nicht erspart bleiben, der riesige Aufwand von Mühe, die Unbefriedigung der Angehörigen, denen die Vorstellung der notwendigen Zeitdauer einer akuten Neurose kaum so vertraut sein wird wie im analogen Falle einer akuten Infektionskrankheit, dies und anderes wird wahrscheinlich die konsequente Anwendung der kathartischen Methode im angenommenen Falle meist unmöglich machen. Doch bleibt es sehr in Erwägung zu ziehen, ob nicht auch bei einer akuten Hysterie die jedesmalige Beseitigung der Krankheitsprodukte einen heilenden Einfluß übt, indem sie das mit der Abwehr beschäftigte normale Ich des Kranken unterstützt und es vor der Überwältigung, vor dem Verfalle in Psychose, vielleicht in endgültige Verworrenheit bewahrt.
Was die kathartische Methode auch bei akuter Hysterie zu leisten vermag und daß sie selbst die Neuproduktion an krankhaften Symptomen in praktisch bemerkbarer Weise einschränkt, das erhellt wohl unzweifelhaft aus der Geschichte der Anna O…, an welcher Breuer dies psychotherapeutische Verfahren zuerst ausüben lernte.
(5) Wo es sich um chronisch verlaufende Hysterien mit mäßiger, aber unausgesetzter Produktion von hysterischen Symptomen handelt, da lernt man wohl den Mangel einer kausal wirksamen Therapie am stärksten bedauern, aber auch die Bedeutung des kathartischen Verfahrens als symptomatische Therapie am meisten schätzen. Dann hat man es mit der Schädigung durch eine chronisch fortwirkende Ätiologie zu tun; es kommt alles darauf an, das Nervensystem des Kranken in seiner Resistenzfähigkeit zu kräftigen, und man muß sich sagen, die Existenz eines hysterischen Symptoms bedeute für dieses Nervensystem eine Schwächung seiner Resistenz und stelle ein zur Hysterie disponierendes Moment dar. Wie aus dem Mechanismus der monosymptomatischen Hysterie hervorgeht, bildet sich ein neues hysterisches Symptom am leichtesten im Anschlusse und nach Analogie eines bereits vorhandenen; die Stelle, wo es bereits einmal »durchgeschlagen« hatVgl. Breuers in diese Gesamtausgabe nicht aufgenommene Arbeit ›Theoretisches‹ in der Originalausgabe der Studien über Hysterie von J. Breuer und Sigm. Freud, S. 177., stellt einen schwachen Punkt dar, an welchem es auch das nächste Mal durchschlagen wird; die einmal abgespaltene psychische Gruppe spielt die Rolle des provozierenden Kristalls, von dem mit großer Leichtigkeit eine sonst unterbliebene Kristallisation ausgeht. Die bereits vorhandenen Symptome beseitigen, die ihnen zugrunde liegenden psychischen Veränderungen aufheben, heißt den Kranken das volle Maß ihrer Resistenzfähigkeit wiedergeben, mit dem sie erfolgreich der Einwirkung der Schädlichkeit widerstehen können. Man kann solchen Kranken durch länger fortgesetzte Überwachung und zeitweiliges »chimney sweeping«Vgl. Breuers in diese Gesamtausgabe nicht aufgenommene Krankengeschichte ›Frl. Anna O…‹ in der Originalausgabe der Studien über Hysterie, S. 23.sehr viel leisten.
(6) Ich hätte noch des scheinbaren Widerspruchs zu gedenken, der sich zwischen dem Zugeständnisse, daß nicht alle hysterischen Symptome psychogen seien, und der Behauptung, daß man sie alle durch ein psychotherapeutisches Verfahren beseitigen könne, erhebt. Die Lösung liegt darin, daß ein Teil dieser nicht psychogenen Symptome zwar Krankheitszeichen darstellt, aber nicht als Leiden bezeichnet werden darf, so die Stigmata; es macht sich also praktisch nicht bemerkbar, wenn sie die therapeutische Erledigung des Krankheitsfalles überdauern. Für andere solche Symptome scheint zu gelten, daß sie auf irgendeinem Umwege von den psychogenen Symptomen mitgerissen werden, wie sie ja wohl auch auf irgendeinem Umwege doch von psychischer Verursachung abhängen.
Ich habe nun der Schwierigkeiten und Übelstände unseres therapeutischen Verfahrens zu gedenken, soweit diese nicht aus den vorstehenden Krankengeschichten oder aus den folgenden Bemerkungen über die Technik der Methode jedermann einleuchten können. – Ich will mehr aufzählen und andeuten als ausführen: Das Verfahren ist mühselig und zeitraubend für den Arzt, es setzt ein großes Interesse für psychologische Vorkommnisse und doch auch persönliche Teilnahme für den Kranken bei ihm voraus. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß ich es zustande brächte, mich in den psychischen Mechanismus einer Hysterie bei einer Person zu vertiefen, die mir gemein und widerwärtig vorkäme, die nicht bei näherer Bekanntschaft imstande wäre, menschliche Sympathie zu erwecken, während ich doch die Behandlung eines Tabikers oder Rheumatikers unabhängig von solchem persönlichen Wohlgefallen halten kann. Nicht mindere Bedingungen werden von Seiten der Kranken erfordert. Unterhalb eines gewissen Niveaus von Intelligenz ist das Verfahren überhaupt nicht anwendbar, durch jede Beimengung von Schwachsinn wird es außerordentlich erschwert. Man braucht die volle Einwilligung, die volle Aufmerksamkeit der Kranken, vor allem aber ihr Zutrauen, da die Analyse regelmäßig auf die intimsten und geheimstgehaltenen psychischen Vorgänge führt. Ein guter Teil der Kranken, die für solche Behandlung geeignet wären, entzieht sich dem Arzte, sobald ihnen die Ahnung aufdämmert, nach welcher Richtung sich dessen Forschung bewegen wird. Für diese ist der Arzt ein Fremder geblieben. Bei anderen, die sich entschlossen haben, sich dem Arzte zu überliefern und ihm ein Vertrauen einzuräumen, wie es sonst nur freiwillig gewährt, aber nie gefordert wird, bei diesen anderen, sage ich, ist es kaum zu vermeiden, daß nicht die persönliche Beziehung zum Arzte sich wenigstens eine Zeitlang ungebührlich in den Vordergrund drängt; ja, es scheint, als ob eine solche Einwirkung des Arztes die Bedingung sei, unter welcher die Lösung des Problems allein gestattet ist. Ich meine nicht, daß es an diesem Sachverhalt etwas Wesentliches ändert, ob man sich der Hypnose bedienen konnte oder dieselbe umgehen und ersetzen mußte. Nur fordert die Billigkeit hervorzuheben, daß diese Übelstände, obwohl unzertrennlich von unserem Verfahren, doch nicht diesem zur Last gelegt werden können. Es ist vielmehr recht einsichtlich, daß sie in den Vorbedingungen der Neurosen, die geheilt werden sollen, begründet sind und daß sie sich an jede ärztliche Tätigkeit heften werden, die mit einer intensiven Bekümmerung um den Kranken einhergeht und eine psychische Veränderung in ihm herbeiführt. Auf die Anwendung der Hypnose konnte ich keinen Schaden und keine Gefahr zurückführen, so ausgiebigen Gebrauch ich auch in einzelnen Fällen von diesem Mittel machte. Wo ich Schaden angestiftet habe, lagen die Gründe anders und tiefer. Überblicke ich die therapeutischen Bemühungen dieser Jahre, seitdem mir die Mitteilungen meines verehrten Lehrers und Freundes J. Breuer die kathartische Methode in die Hand gegeben haben, so meine ich, ich habe weit mehr und häufiger als geschadet doch genützt und manches zustande gebracht, wozu sonst kein therapeutisches Mittel gereicht hätte. Es war im ganzen, wie es die ›Vorläufige Mitteilung‹ ausdrückt, »ein bedeutender therapeutischer Gewinn«.
Noch einen Gewinn bei Anwendung dieses Verfahrens muß ich hervorheben. Ich weiß mir einen schweren Fall von komplizierter Neurose mit viel oder wenig Beimengung von Hysterie nicht besser zurechtzulegen, als indem ich ihn einer Analyse mit der Breuerschen Methode unterziehe. Dabei geht zunächst weg, was den hysterischen Mechanismus zeigt; den Rest von Erscheinungen habe ich unterdes bei dieser Analyse deuten und auf die Ätiologie zurückführen gelernt und habe so die Anhaltspunkte dafür gewonnen, was von dem Rüstzeuge der Neurosentherapie im betreffenden Falle angezeigt ist. Wenn ich an die gewöhnliche Verschiedenheit zwischen meinem Urteile über einen Fall von Neurose vor und nach einer solchen Analyse denke, gerate ich fast in Versuchung, diese Analyse für unentbehrlich zur Kenntnis einer neurotischen Erkrankung zu halten. Ich habe mich ferner daran gewöhnt, die Anwendung der kathartischen Psychotherapie mit einer Liegekur zu verbinden, die nach Bedürfnis zur vollen Weir Mitchellschen Mastkur ausgestaltet wird. Ich habe dabei den Vorteil, daß ich so einerseits die während einer Psychotherapie sehr störende Einmengung neuer psychischer Eindrücke vermeide, anderseits die Langweile der Mastkur, in der die Kranken nicht selten in ein schädliches Träumen verfallen, ausschließe. Man sollte erwarten, daß die oft sehr erhebliche psychische Arbeit, die man während einer kathartischen Kur den Kranken aufbürdet, die Erregungen infolge der Reproduktion traumatischer Erlebnisse, dem Sinne der Weir Mitchellschen Ruhekur zuwiderliefe und die Erfolge verhinderte, die man von ihr zu sehen gewohnt ist. Allein das Gegenteil trifft zu; man erreicht durch solche Kombinationen der Breuerschen mit der Weir Mitchellschen Therapie alle körperliche Aufbesserung, die man von letzterer erwartet, und so weitgehende psychische Beeinflussung, wie sie ohne Psychotherapie bei der Ruhekur niemals zustande kommt.